Leben auf der Straße

November 17, 2021 Fast umsonst und draussen

Am 31.Oktober besteige ich den Flieger nach Puerto del Rosario. Wo andere Urlaub machen, werde ich 155 km der Länge nach über Fuerteventura laufen. Der Wanderweg GR 131 führt vom Norden Lanzarotes über alle Kanarischen Inseln hinweg bis nach La Palma. Ich habe mir Fuerteventura ausgesucht, da ich vor drei Jahren hier den Winter verbrachte. Seitdem verbinde ich ein gewisses Heimatgefühl mit der Insel.

Im Handgepäck sind Isomatte, Schlafsack und Biwak. Dazu das Minimum an Kleidung, plus ein paar Extras für die Urlaubswoche danach = 7.3 kg. Das Flugzeug landet abends und ich lasse mich mit dem Taxi zu einer Pension in der Nähe des zentralen Busbahnhofes bringen. Das Zimmer ist spartanisch eingerichtet, gleicht eher einer Zelle. Es wird für eine Weile das letzte Mal sein, dass ich drinnen übernachte.

Am Morgen geht es nach Corralejo. Die Stadt im Norden war einmal ein kleines Fischerdorf. Durch den Tourismus und zahlreich zugereiste Engländer, ist die Gegend belebt. Im Hafenrestaurant bestelle ich mir Papas Arrugadas, die kleinen kanarischen Kartoffeln in Salzlake, zum Frühstück. Danach folge ich meiner App zum Einstieg in den GR 131. 

Tag 1  Corralejo-La Oliva, 25 km

Ich bin bester Laune. Die erste Etappe führt auf flachen, sandigen Pfaden zwischen den Vulkankegeln hindurch. Ab und an türmen sich Paletten mit Wellblech vermischt zu “Tiergehegen” auf. Auf zweckmäßige Architektur wird in den Außenbezirken verzichtet. Inzwischen leben die Kanarier vor allem vom Tourismus. Reste landwirtschaftlicher Methoden sind beim Blick über die karge Weite zu sehen. In die von den Bergen herabführenden Gräben sind Steine gestapelt. Wenn es regnet, wird fruchtbare Erde mitgeschwemmt und verfängt sich in den Mauern. Anschließend kann sie für den Acker genutzt werden.

Lajares im Hintergrund

Bis auf einige Radfahrer überholen mich nur Leihwagen. Am Fuß des Vulkans “Hondo” stauen sich die Besucher. Der Aufstieg mit Blick in den Krater ist ein beliebtes Ausflugsziel. Ich will vorbei laufen, überlege es mir anders und finde eine Stelle zum Queraufstieg. Es staubt und rutscht, aber ich schaffe es. Oben stelle ich fest, dass ich auf dem Kamm zwischen zwei Vulkanen stehe und nur ins dahinter liegende Tal gucken kann. Egal, meine Motivation ist erschöpft. Ich drehe um und laufe zum Kaffee trinken nach Lajares.

Der Kaffee in Spanien ist eine Wohltat. Selten bis nie, auch nicht in der kleinsten Klitsche, habe ich schlechten Kaffee bekommen. Mein Favorit ist “Cafe leche leche”. “Leche” bedeutet Milch. Die Dopplung bezieht sich auf die Zugabe von gesüßter Kondensmilch als “Bodensatz”, Kaffee obenauf und einen Schuss Kuhmilch hinein. Sieht gut aus und ist ein echter Energy-Shot.

Zu verkaufen…
…ohne Esel:-)

Gestärkt ziehe ich weiter ins Naturschutzgebiet “Malpais de la Arena”. Entstanden ist es durch den letzten Vulkanausbruch vor etwa 10.000 Jahren. Die Lavaströme flossen damals bis nach Lajares. Der Boden müsste fruchtbar sein, sieht aber unspektakulär aus. Um hier Land zu kaufen, muss man schon sehr optimistisch sein.

Tiere sehe ich auf meiner gesamten Wanderung selten. Zu den Nutztieren für die typischen Käsesorten der Kanaren zählen Ziegen und Schafe. Wilde Tiere gibt es neben diversen Vogelarten kaum. Das war für mich eine beruhigende Information, was die Nächte im Freien betraf. Schlangen oder Skorpione, die sich in den Schlafsack verirren, sind nicht zu befürchten. 

In La Oliva will ich meine Vorräte auffüllen. Dort angekommen fällt mir auf, dass kaum Menschen auf der Straße sind. Ich frage einen Fussgänger nach dem nächsten Supermarkt. “Hoy es festivo, todo cerrado.” Wie, heute alles zu und Feiertag? Ich will noch sagen, dass in Lajares alles geöffnet ist, aber was solls. Es ist Allerheiligen und mit den Katholiken nicht zu spaßen. Mein Schicksal scheint schon am ersten Tag der Reise ein Versorgungsproblem zu sein. Ich habe Hunger und kaum noch Wasser. Gut, denke ich, schlimmstenfalls muss ich bis morgen warten. Die Rettung ist eine Tankstelle am Ortsausgang. Die versorgt mich mit dem Nötigsten, bevor ich mich auf die Suche einem Schlafplatz mache.

Am Ortsausgang liegt die “Villa de los Artistas”, ein leer stehendes Gebäude, das mich an eine Kirche erinnert. Flankiert wird sie von lebensgroßen Statuen griechischer Schönheiten. Es ist ein Museum gewesen, nun aber laut Web dauerhaft geschlossen. Im Netz steht, dass alle Statuen in einem Geschäft für Gartendekoration erworben werden können…

Figur nahe der Villa de los Artistas

Mein Nachtlager liegt unweit des Weges auf einem Feld hinter einer Steinmauer. Die ist gerade hoch genug, sodass man mich von der Straße aus nicht sieht. Mit dem gekauften 5 Liter Wasserkanister von der Tankstelle betreibe ich die notwendige Körperpflege, trinke noch ein kühles Dosenbier und liege um 19.30 Uhr in meinem Schlafsack.

Tag 2  La Oliva-Llanos de la Concepcion, 28 km

Mein erster Weg führt zurück in den Ort zum Minimarkt. Drinnen stehen schon drei Spanierinnen, und es ist keine Eile geboten. Die Kassiererin rechnet einer Kundin Ihren Einkauf zusammen. Die überlegt sich, dass sie doch gern noch drei Brötchen, eins mit Käse, zwei mit Schinken mitnehmen würde. Ein nettes Lächeln nach hinten, an die anderen Wartenden in der Schlange. “Und ein Paket Saft noch…” Wirklich kein Anzeichen von Stress zu spüren. Ich finde sie widerwillig sympathisch.

Der heilige Tindaya liegt vor mir

Es geht Richtung Tindaya. Zum Ort gehört der gleichnamige Berg. Er ist den Einwohnern heilig und man braucht eine Genehmigung um ihn zu besteigen. Auf dem Gipfel befinden sich Jahrtausende alte Zeichnungen. Sie sollen Zeugen von rituellen Tänzen oder Handlungen sein. Kein Bedarf, dort hoch zu steigen. Ich habe Muskelkater, den nicht zu knapp und meine Füße schmerzen. Die Schuhe, obwohl eingelaufen, scheuern an den Zehen. Ich ignoriere es eine Weile, letztlich gebe ich nach. Die sündhaft teuren Blasenpflaster machen sich bezahlt. 

Humor bei der Verteilung von Straßenschildern kann man ihnen nicht absprechen

Bis Tefia verläuft die Strecke relativ eintönig. Tatsächlich ist mein Gemütszustand wechselhaft. Von Begeisterung über die Freiheit draußen zu sein, wechselt er zu Irritation über die Hitze und die ständige Frage, wann und wo ich meine Vorräte auffüllen kann.

Einsam bin ich nicht. Im Gegenteil, eine gewisse Menschenscheu setzt ein. Ich ziehe es vor, meinen Gedanken nachzuhängen. In Tefia angekommen frage ich in einer Bar nach dem Supermarkt. Den gibt es, aber er hat heute…geschlossen. Wieso? Das kann mir keiner erklären. Gestern war Feiertag. Und heute ist dann eben auch zu. Die Bar ist der einzige Ort an dem ich etwas zu essen bekomme. Ich beschließe, meine Powerbank zu laden und die Pause zu nutzen, um mich durch die Speisekarte zu futtern. Danach bleibt genügend Zeit, weiter zu wandern.

Ich passiere eine Schutzhütte, entscheide mich aber gegen sie als Nachtlager. Wenn jemand Jagd auf einsame Wanderer macht, würde er nicht als Erstes in diesen Hütten nachsehen? Soweit zur Angst. Tatsächlich fühle ich mich relativ sicher in meinem Biwak. Es passt sich kamäleonartig der Umgebung an und sobald es dunkel ist, glaube ich nicht mehr, dass mich jemand auf weiter Flur findet. Dennoch ist der Tiefschlaf Mangelware. Gestern lag es an Mücken, die immer wieder Wege in meinen Schlafsack fanden. Die Nacht unter den Sternen hat Hindernisse.

Llanos de la Concepcion

Ich komme langsam in die Nähe des Ortes und muss nach geeigneten Liegeflächen Ausschau halten. Nicht zu weit, nicht zu nah am Ort. Llanos de la Concepcion, die Ebene der unbefleckten Empfängnis, ist erstaunlich grün. An den Hängen liegen Felder. Dort, im Graubereich zur Siedlung, finde ich eine Fläche für mein Lager. Es ist 18 Uhr und beginnt zu dämmern. Ich beschließe, noch eine Runde durch den Ort zu wandern. Der Supermarkt hat zu, die Bar ebenfalls. Schulterzuckend füge ich mich in mein Schicksal. 

Tag 3   Llanos de la Concepcion – hinter Vega de Rio Palma, 20 km

6.30 Uhr in Llanos de la Concepcion, Zähne putzen

Um 7 Uhr hat zwar der Supermarkt noch geschlossen, aber die Bar ist geöffnet. Während ich so bei Kaffee und Bocadillo sitze, kommt ein Lieferwagen mit frischer Ware. Die Fahrer laden pfeifend aus, bleiben für einen Schwatz mit dem Wirt und schwingen sich ins Auto. Ich schultere den Rucksack, der gefühlt zu schwer ist und mache mich ebenfalls auf den Weg.

Die große Freiheit

Geröllige, breite Pisten führen steil über den Morro de Velosa (662m). Die Aussicht ist fantastisch. Oben an der Straße wurde den letzten zwei Guanchen Häuptlingen ein Denkmal gesetzt. Überlebensgroß ragen sie in den Himmel. Ein Herr mit Rucksack kommt auf mich zu: “Is this the path downwards?”

Geoffrey ist pensionierter Engländer. Er läuft seit zwei Monaten täglich 4 km auf dem GR vorwärts und 4 km zurück zu seinem Auto. Am nächsten Tag beginnt er bei der Ausstiegsstelle. Morgen kommt seine Frau. Er verzieht bedauernd das Gesicht. Dann ist es mit dem Spaß vorbei. Sie hat andere Pläne. Wir müssen lachen, das Thema ist bekannt.

Geoffrey

Ich erreiche Betancuria, die ehemalige Hauptstadt Fuerteventuras. Sie ist erstaunlich gepflegt und zehrt von ihrem Ruhm. Die TUI Busse sind zahlreich und die Besucherströme garantieren den Restaurants ein Auskommen. Ich wickle meinen Rucksack in das Biwak und lege ihn unter einen Busch. Als nächstes besorge ich mir einen großen Wasserkanister für die Dusche. Letzter Punkt auf meiner Liste ist ein Essen. Auf Facebook lese ich, dass ausgerechnet Christine Thürmer ebenfalls den GR 131 läuft. Sie hat ihre Wanderung in Lanzarotes Norden gestartet und liegt zwei Tage “hinter” mir. Christine Thürmer, die “weitgewandertste Frau der Welt”. Ich schreibe sie an, bekomme einen “Daumen hoch” und hoffe, dass sich unsere Wege noch kreuzen (sie tun es nicht, aber ich gehe zu ihrem nächsten Vortrag in Wilhelmshaven).

Der nächste Aufstieg lässt nicht lange auf sich warten. Durch den einzigen Wald der Insel, am Picknickplatz vorbei, auf und ab, passiert er ein vertrocknetes Flussbett und erreicht dann Vega de Rio Palmas. Mein Trinkvorrat ist aufgebraucht. Totenstill liegt die Kirche in der Dorfmitte. Das Restaurant nebenan ist geschlossen. Ich gerate in leichte Panik. Seit vier Stunden habe ich nichts mehr gegessen und für den Weg morgen brauche ich Proviant.

Ich google “Restaurant, Vega”. Angeblich gibt es eins in meiner Laufrichtung. Nur schließt es in 45 Min. Ich sprinte los. Nach 30 Min sehe ich das Schild des “Casa de la Naturaleza”. Ich gehe die Treppen zur Anlage hinauf, dort sitzt kein Mensch. Innen brennt kein Licht. Ganz am Ende der Terrasse steht eine Tür offen. Eine junge Frau erscheint: “Es cerrado…”- Geschlossen. Bestürzt erkläre ich meine Lage. Sie hat Mitleid und bietet mir ein Stück Apfel- oder Käsekuchen an. Ich nehme den Apfel. Dann kommt der Koch. Beeindruckt von meiner Wanderung allein als Frau und auch noch mit Zelt, bereitet er das letzte Boccadillo zu. Dick in Aluminiumfolie verpackt verstaue ich es samt 1.5 l Wasser in meinem Rucksack. Ich danke den beiden überschwänglich. 

Der Weg zur Marienstatue

Nächstes Problem ist der Schlafplatz. Das Gebiet aus Barancos ist wunderschön, aber gerade für meinen Geschmack etwas zu weit von der Zivilisation entfernt. An einem vertrockneten See vorbei gelange ich an eine Staumauer. Dahinter führt zwischen zwei Hängen ein Fluss riesiger Steinbrocken ins Tal. Laut einer Legende sahen hier zwei Mönchen eine Lichterscheinung und diese brachte sie zur Statue der Virgin de la Peña. Die ist nun in einer kleinen Kapelle zu besichtigen.

Der ausgetrocknete See wird mein Lagerplatz

Mir gefällt der Bereich des Sees. Ich räume meinen Rucksack aus und will es mir gemütlich machen. Doch der Strom der Besucher der Ermita (der kleinen Kapelle) reißt nicht ab. Ich sitze unauffällig am Rand der Staumauer und warte. Fast ist es dunkel, da kommt ein französisches Pärchen anmarschiert. Ich schleppe meine Sachen hinter den nächsten Busch und verstecke mich. Die beiden scherzen miteinander, hüpfen durch die Gegend. Verschwinden, tauchen wieder auf. Er startet eine Drohne. Ich sitze immer noch hinter dem Busch. Mir ist das Ganze komplett unangenehm. Ich habe aber mehr Angst davor, dass sie von meiner Übernachtung wissen könnten und bleibe daher, wo ich bin. Irgendwann gehen sie.

Tag 4  Tal der Ermita- Pajara, ca 11 km

Ich erwache komplett gerädert um 6.30 Uhr. Meine Batterien sind physisch und psychisch ziemlich runter. Es nieselt. Meine Laune ist dementsprechend. Nix zu machen. Vor mir liegen wieder Berge, die zu erklimmen sind. Um mich zu stärken, wickle ich das Boccadillo aus. Das Brötchen ist mit Olivenöl beträufelt, dazu Käse und Tomate. Es riecht herrlich, nur hat es die Nacht nicht überstanden. Was ich aus der Alufolie hole, ist ein durchweichter Brei.

Bald höre ich ein Flattern hinter mir. Ein übergroßer Rabe landet 2 Meter entfernt und “klickt” mich an. Er macht diese Geräusche eine Weile, während er gleichzeitig auf mein Brötchen guckt. Ich werfe ihm ein Stück zu. Es dauert nicht lang, dann kreisen seine Kumpel über mir. 

Mit Erreichen Pajaras gelange ich so ungefähr ins Paradies. Der Ort hat einen Supermarkt und Restaurants, alles geöffnet. Jedenfalls beschließe ich es für heute bei der kleinen Tour zu belassen. Ich kaufe Joghurt und Obst, finde eine Ecke für mein Gepäck und schlendere erleichtert durch den Ort. 

In einem Straßencafé quatscht mich ein älterer Spanier an. Ich verstehe ihn nur gebrochen. Vor 30 Jahren war er Taxifahrer in Deutschland. Er ist 84 Jahre alt und hält mich für ein junges Mädchen. So weit, so gut. Er geht leider nicht wieder und macht, spanisch plus Gestik, soviel verstehe ich, anzügliche Bemerkungen. Ich bleibe höflich, zu meinem eigenen Leidwesen. Letztlich zahle ich und gehe. Dramatisch wird es erst, als er mich in einer anderen Bar wiedererkennt und einen zweiten Anlauf startet. Ich versuche ihm zu verklickern, dass ich genug von seiner Gesellschaft habe. Er ignoriert das, steht aber direkt vor mir an meinem Tisch. Der Barmann bemerkt meine Lage und schaltet sich ein. Er scheint den Herren zu kennen und benutzt deutliche Vokabeln, um ihn zum Gehen zu bewegen. Bringt aber nix. Der Wirt nimmt den Herren am Arm und zieht ihn weg. Das bringt ihm wüste Beschimpfungen ein. Doch mein Retter bleibt hart und verweist ihn des Platzes. Ich warte noch ein Weilchen bevor auch ich gehe. Da das Dorf übersichtlich ist, will ich eine weitere Begegnung vermeiden. Dazu wandere ich im Außenbezirk und tue sonst nicht viel. Morgen stehen 26 km Bergüberquerung auf dem Plan…

Tschüss Pajara!

Tag 5   Pajara- La Pared, 26 km

Ich esse im Gehen und verlasse in den frühen Morgenstunden Pajara. Im Netz wurde die Etappe mehrfach als schwierig, teilweise mit “alpinem Charakter”, beschrieben. Auf einem Bergrücken geht es zum Morro de Moralito (411m). Der Anstieg ist stetig, auf die Dauer anstrengend. Das Gewicht meines Gepäcks geht mir auf die Knie. Oben angelangt bläst der Wind mir um die Ohren. Ein Adler kreist, ansonsten ist es still. Wilde Ziegen flüchten quer die Abhänge hinunter. Ich muss meine Wasserflasche im Rucksack verstauen, um beide Hände für den Abstieg frei zu haben. 

Immer auf dem Kamm lang

Es geht in den Ort Cardon hinab. Dort leben die Einwohner vor allem von der Landwirtschaft oder fahren zu den touristischen Zentren, um zu arbeiten. Ich wandere nur hindurch und am Berg entlang bis es langsam bergab Richtung La Pared geht. Die letzten 5 km sind recht lieblos angelegt und gleichen einer breiten Schotterpiste.

Auf einem eingezäunten Hügel stehen etwa 300 Ziegen. Sie gehören zur hiesigen Käserei. Ich bin zu müde, um das typische Produkt zu kosten. Eine Fußgängerallee mit zahlreichen Sitzgelegenheiten führt in den Kern von La Pared. Man könnte annehmen, dass eine größere Stadt an ihrem Ende liegt. Statt dessen ist es ein Hot Spot für Surfer. Baden ist an der Westküste Fuerteventuras aufgrund starker Strömungen eher mit Vorsicht zu genießen.

Nun begehe ich einen Fehler. Thorsten ist seit zwei Tagen auf Fuerteventura. Ab dem 8. November haben wir für eine Woche ein Appartement in Costa Calma gemietet. Ich rufe ihn an und beschließe kurzerhand ein Taxi für die 10 km Distanz zu nutzen. Schön, ihn zu sehen. Thorsten schleust mich in sein Hotelzimmer, ich dusche ausgiebig, anschließend gehen wir essen. Ich schlafe in einem richtigen Bett.

Tag 6 La Pared- Risco del Paso, eigentlich 14 km, ungewollt 20 km

Erst um 11 Uhr sind wir beide zurück in La Pared und beginnen die Wanderung zum Risco del Paso. Von Schatten keine Spur. Unser Proviant beschränkt sich leichtsinnigerweise auf eine Flasche Wasser und ein paar Cräcker. Sandverwehte Wege führen zu Schneckentempo.

“Weit ist der Weg…” (:-)

Uns begegnet ausschließlich eine Gruppe Cross-Motorradfahrer, die viel Staub aufwirbelt. Ich gehe davon aus, dass am Risco del Paso, wo die Etappe enden soll, eine Strandbude mit Essen/ Getränken ist. Dort angekommen stellt sich meine Erinnerung als fehlerhaft heraus. Es wimmelt zwar von Kitern, die scheinen aber von der Luft zu leben. Die Surfbude liegt 3 km entfernt Richtung Norden. Hier sagt uns die Bedienung, dass es nur noch Getränke und Chips gibt. Zu spät für Boccadillos, sie machen gleich zu. “In Costa Calma nur 4 km entfernt, da gibt es…” Zähneknirschend schleppen wir uns zurück und gehen ins erstbeste Restaurant an der Straße. Es ist fast dunkel. Ich habe überhaupt keine Lust mehr draußen zu schlafen. Um nochmal am Portier im Hotel vorbei zu schleichen, fehlt uns der Mut. Thorsten hilft mir bei der Suche eines Nachtplatzes am Strand. Dann verabschieden wir uns für die kommenden zwei Tage. 

Tag 7 Risco der Paso-Jandia, 12km

Die Nacht am Strand war erfüllt vom Schreck über das Ausleuchten des Terrains durch einen wattreichen Strahler. Der gehörte zu einer Gruppe Jugendlicher, die am Meer feiern wollten. Als es bald darauf neben meinem Schlafsack raschelte, sah ich in die Augen eines Igels, der genauso erstarrte wie ich, bevor er weiterzog.

Ein Taxi bringt mich zum Risco del Paso zurück. Ein früher Surfer erklärt mir Ebbe und Flut (er fragte ja nicht, woher ich komme) und preist die Qualität des jungfräulichen Meeres am Morgen. Ein Stück weiter mehren sich die Steinburgen. Sie ähneln auf den ersten Blick Maulwurfshügeln, dienen aber den Touristen als Wind/ Sandwall. Traditionell werden diese Burgen gern für die Dauer des Urlaubs besetzt. Auf einem Stein lese ich, mit Edding (!!!- man bemerke die Planung des Besetzers) geschrieben den Eintrag:“Belegt bis 26.11.18 Danke, Nina und Jürgen“. Diese Deutschen…

Es sind nur noch 22 km bis zum südlichsten Punkt der Insel. Ich lasse es heute entspannt angehen.

Zeichen der Besetzung

Je näher ich Jandia komme, desto höher ist die Anzahl der Bars. Bald gehören Toiletten und Duschen zu jedem Etablissement. Ich lasse mein Gepäck stehen, breite den Schlafsack zum Trocknen aus und springe ins Meer. Das Leben ist perfekt! 

Gegen 16 Uhr und nach nur 12 km Wanderweges, laufe ich Richtung Hafen. Hier sind die Gassen enger und tatsächlich wohnen Einheimische in den Häusern. Am Hafen genieße ich ein Abendessen, dann streune ich auf dem Gelände herum, um meinen Platz zu finden. Am Ende der Mole des Yachthafen scheint es ruhig. Vereinzelte Spaziergänger sind noch unterwegs. Ich gehe davon aus, dass sie bald verschwunden sind. Um 21 Uhr, ich liege schon im Bett, kläfft mich ein Hund an. Er wird von seinem Besitzer zurückgerufen, lässt sich aber nicht davon abhalten, auf dem Rückweg dasselbe Spiel zu spielen. Um 22 Uhr geht jemand an mir vorbei und setzt sich 50 m entfernt unter eine Laterne. Er telefoniert und bleibt 45 Min sitzen. Um 23.30 Uhr reißen Jugendliche ihre Anlage auf.

Hafenromantik

Tag 8. Morro Jable- Punto de Jandia, 22 km

Um 6 Uhr läuft ein Hafenarbeiter an mir vorbei. Ich packe schnell zusammen. In dem Wissen, dass vom südlichsten Punkt der Insel nur zwei Mal am Tag eine Busverbindung zurück nach Morro Jable besteht, google ich die Abfahrtszeiten: 12 Uhr und 16 Uhr stehen zur Auswahl. Wenn ich zügig laufe, sollte der Bus am Mittag gerade passen.

Mehr Mondlandschaft ist fast nicht möglich. Weit und breit kein Grün, nur Gebüsch und jede Menge Geröll. Ich laufe durch eine flache Ebene und sehe in der Ferne schon mein Ziel, den Leuchtturm. Es ist schön, früh unterwegs zu sein. Als es auf 9 Uhr zu geht, beginnt die Plackerei. Der GR ist küstennah angelegt, was tolle Sichten aufs Meer erlaubt. Weniger erfreulich ist, dass jede Bodenwelle an den Klippen mitgenommen wird. Fluchend vergleiche ich den Abstand zum Leuchtturm mit meiner verbleibenden Buszeit. Für lange Pausen reicht es nicht. Einige Robinson Crusoes bevölkern die einsamen Strände. Auch ein Nacktwanderer säumt meinen Weg.

 

Robinson Crusoes

Ich erreiche Puertito. Neben Cofete ist es das einzige Dorf in dieser Einöde. Puertito war einmal ein reiches Dorf. Die Männer fuhren zur See. Ihre Boote waren so voll mit Fisch, dass sie ihre Ladung in Cotillo, im Norden verkaufen konnten.

Das kleine Dorf vor dem sagenumwobenen Leuchtfeuer ist heute merkwürdig verschlafen und besteht zur Hälfte aus aneinander gereihten Wohnwagen. Angeblich Feriendomizile. Die Einwohner leben noch von der Fischerei, üblicherweise auch vom Tourismus. Der scheint allerdings in bunten Mietwagen vorbei zu düsen: Einmal zur Südspitze, Foto machen vor dem Blau des Ozeans und weiter geht es.

Ferienwohnung, angeblich
Das unspektakuäre Ziel meiner Reise

Noch 1.2 km bis zum Punto de Jandia. Dort gab es mal ein Restaurant. Das wurde geschlossen. Es entstand ein Museum. Das hat inzwischen das Zeitliche gesegnet. Im Dorf wird mir ein Fischer erklären, dass es reine Machtspiele der Regierung seien die das Dorf kaputt machen. Am Turm ist nichts. Ich freue mich kurz angekommen zu sein und marschiere schnurstracks zurück. Dann kommt mein Bus.

Der fährt natürlich nicht direkt zurück nach Morro Jable, sondern sammelt zuerst weitere Fahrgäste hinter den sieben Bergen in Cofete ein. Genug Zeit diese Reise Revue passieren zu lassen und zu überlegen, welche Insel ich 2022 durchwandern will…

Film folgt.

2 Replies to “Leben auf der Straße”

  1. Peter Puhl sagt:

    Schade, dass ich Ihre Seite erst vor kurzem entdeckt habe. Super geschrieben und sehr schöne Fotos. Von Thruhiking hatte ich bisher noch nie etwas gehört. Nach Christine Thürmer habe ich dann sofort gegoogelt und ein interessantes Interview mit ihr im “Merkur” gelesen. “Das Wandern nimmt einem die Zukunftsängste.” ist mir in Erinnerung geblieben.

    • Sabrina sagt:

      Hallo Herr Puhl, danke für den Kommentar. Wandern ist eine großartige Möglichkeit Land und Leute kennenzulernen. Außerdem kostet es, je nach Unterkunft, nicht allzu viel. Christine Thürmer habe ich bei einem Vortrag in Wilhelmshaven getroffen. Interessante Person.

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