Das Eldorado ist die letzte verbliebene Kneipe am Bahnhofsviertel. Am Wochenende, besonders wenn eine Punkband auftritt, ist das Eldo oft rappelvoll. Vor dem Laden steht links ein verschlissenes Sofa. Für die Gäste, die zwischendurch mal frische Luft holen wollen. Bernd Reimers sitzt hinter der Theke auf seinem Stammplatz. „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich den Laden aufgemacht habe. Nach 40 Jahren habe ich aufgehört zu zählen“, sagt er.
Aus dem Traum wird Wirklichkeit
In den 70ern wird der Raum in der Müllerstraße 4 als Werkstatt und Autogarage von einem Taxiunternehmen genutzt. Bernd Reimers wohnt in Schleswig-Holstein. Da liest er in der Geo, dass Nordenham die höchste Kneipendichte Deutschlands hat. Offensichtlich wird dort viel und gern getrunken. Der 28-Jährige hat einen Traum: eine eigene Gaststätte mit Spielhalle. In der kleinen Stadt am Meer soll er Wirklichkeit werden.
Es trifft sich gut, dass ein Freund von Bernd Reimers dreimal im Lotto gewonnen hat und ihn bei seinen Plänen unterstützen will. Er kauft die Garage und lässt Bernd Reimers freie Hand. Dort, wo sich heute das Millennium befindet, gibt es einen Zeitungsverkauf, daneben liegt der Zigarettenladen Tante Clara.
Der junge Unternehmer verbringt nun die meisten Stunden des Tages, mit einer Kippe im Mund, im Eldo. Der Boden der Kneipe wird mit Restbeton ausgegossen. Ein Dekorateur vom Weserkaufhaus baut Bernd Reimers den ersten Tresen aus dünnen Deko-Hölzern. Sitz ein Gast auf der Ecke des Tresens und trinkt sein Bier, dann reicht ein Ruck und alles landet auf dem Boden.
Preise, die glücklich machen
Der Laden brummt. In den 70ern kostet ein Bier 50 Pfennig, genauso viel wie 2 cl Korn. Das spricht sich schnell rum. Während das Kernkraftwerk Unterweser gebaut wird, leben jede Menge Fremdarbeiter in Nordenham. Es gibt mindestens sechs Bordelle in der Stadt. Frühmorgens kommt die bunte Mischung an Bardamen und Schichtarbeitern im Eldo vorbei. Bevor Bernd Reimers um 6 Uhr die Türen öffnet, zapft er Bier vor. Draußen stehen die Gäste schon Schlange.
In der Anfangszeit hat die Kneipe einen Vertrag mit der Brauerei Jever. Als die allerdings mitbekommt, zu welchem Preis Bernd Reimers ihre Ware „verkloppt“, boykottiert die Firma mit den Worten: „Du glaubst doch nicht, dass wir in Deine Pissbude liefern?“, die weitere Zustellung. Selbst der Gaststättenverband weigert sich, ihn aufzunehmen. Die anderen Wirte beäugen ihn mit Skepsis.
Aber Bernd Reimers hat gute Kontakte zu einem Brauer in Flensburg. Mit einem Anhänger holt er seinen Biervorrat nach Nordenham. Dazu bringt er die damals angesagten Tulpengläser mit. Er verkauft das Bier weiterhin für 50 Pfennig. Als sich der Gebietsleiter von Jever das nächste Mal meldet, bettelt der darum das Eldo beliefern zu dürfen.
Zeitenwende durch Unterschriftensammlung
Wir schreiben das Jahr 1991. Mitternacht gilt als Sperrstunde für „normale“ Kneipen. Wer länger feiern will, muss auf Bars oder Bordelle ausweichen. Der Bedarf für längere Öffnungszeiten ist gegeben. Bernd Reimers stellt einen Antrag an die Stadt, der ihm erlauben soll, das Eldo durchgängig zu öffnen.
Dafür sammelt er die Unterschriften der Gäste. Über dreihundert kommen zusammen. Und er hat Erfolg. Noch heute profitieren die Nordenhamer von der neuen Regelung. Einige der Gäste, die damals unterschrieben, kommen nicht mehr. Dafür deren Kinder und Enkel. „Ich soll Dich von Mutti grüßen“, sagen sie dann.
Es gibt Paare, die sich im Eldo kennenlernen und sich Datum und Ort tätowieren lassen. Ein Stammgast kauft sich im Neubau direkt neben dem Eldo eine Wohnung. Er sagt, die Fenster isolieren perfekt. Mit Lärm hat er daher keine Probleme und die Kneipe liebt er sowieso. Bernd Reimers Philosophie geht auf: „Ich gebe netten Leuten ein Zuhause. Sie sind alle wie meine Kinder.“
Erst kürzlich verbrachten zwei Schlipsträger die Nacht im Eldo. Bevor die Beiden gegen 5 Uhr aufbrechen, nimmt einer die Hand des Wirtes Hand, drückt ihm 50 Euro hinein und sagt: „Ich möchte mich ganz herzlich bedanken, dass Sie (!) diesen Laden aufrechterhalten.“ „Das hat mich tief gerührt“, sagt Bernd Reimers.
Liebe an einem gefährlichen Ort
Bernd Reimers ist heute 76 Jahre jung. Zusammen mit seiner Partnerin Khadija betreibt er das Eldo. Die beiden lernen sich vor elf Jahren kennen. Sie hat einen Schrebergarten in Nordenham und ein Kumpel, der gerade zu Besuch ist, soll anschließend bei Bernd Reimers die Hecke schneiden. Zum Abschied trägt Khadija dem Freund auf, Bernd herzlich zu grüßen. Im Januar 2013 hatte Bernd Reimers, nach 46 Jahren Ehe, seine Frau verloren.
Kurz darauf erhält Khadija eine Anfrage von dem Witwer, ob sie ihn am Wochenende zum Polterabend begleiten würde. „Eigentlich wollte ich keinen Mann mehr und er keine Frau“, sagt die 53-Jährige. Doch es kommt bekanntlich anders, als man denkt. Weitere Verabredungen folgen und die beiden werden ein Paar. Sie heiraten am 12. Dezember 2016.
Fun Fakt: Khadijas Mutter hatte ihr als Teenager immer verboten, einen Fuß ins Eldo zu setzen. „Zu gefährlich“, sagt sie. Zum Tanzen ging es ins Bayou, der Diskothek in Abbehausen. Jetzt steht ihre Tochter also am Tresen der berüchtigtsten Kneipe in Nordenham. „Solange ich noch auf den Beinen stehen kann, bleibt der Laden geöffnet“, verspricht Bernd Reimers.
Der Herzschlag von Nordenham
„Der Goldschuppen!“ „Berüchtigt und doch allseits beliebt.“ So steht es in den Google-Bewertungen der Eldo-Seite im Netz. Die Kneipe hat dort eine durchschnittliche Bewertung von 4, 4 bei 5 möglichen Sternen. Doch an einem Tag, den Khadija nicht vergessen wird, gibt ein Gast nur einen Stern. Es ist ein AfD Politiker, der sich ins Eldo verirrt hat.
Khadija erkennt seine politische Gesinnung am T-Shirt: „Sons of Odin“ steht darauf. Die Rockergruppe ordnet sich der rechtsextremen Szene zu. Er bekommt Hausverbot. Doch so einfach lässt er sich nicht abwimmeln und ruft die Polizei. Vor der Eingangstür diskutiert der Mann eine Stunde mit den Beamten. Er fühlt sich „wie ein Schwarzer, diskriminiert“, sagt er. Die Polizei rät Khadija beim nächsten Mal direkt auf ihr Hausrecht zu verweisen.
Doch kaum ist die Polizei weg, versucht der Gast ein weiteres Mal Zutritt zu bekommen. Diesmal hat er sein T-Shirt auf links gedreht. Er fliegt wieder raus. Das Eldo ist und bleibt eine AfD-freie Zone. „Die Entscheidung ist nicht politisch, sondern menschlich“, sagt Khadija.