Andreas Buschardt vor seinem Werk in der Hafenstraße 140/ Bremerhaven-Lehe(der Artikel erschien in der Heimatserie der Nordsee-Zeitung am 10. Juli 23)
Als in den 80er Jahren Hip-Hop von Amerika nach Deutschland rüberschwappt, ist Andreas Buschhardt begeistert. Hip-Hop, das war eine Bewegung aus Tanz, Musik, Gesang und der Malerei. Es zählte die Gemeinschaft und ihr Zusammenhalt. Buschhardt sagt: „Geld spielte keine Rolle. Auch nicht, aus welchem Land du kommst. Wichtig war, was du machst. Wer dabei sein wollte, musste etwas Eigenes entwickeln.“
Er probierte sich aus. „Tanzen war nicht meine Stärke, rappen auch nicht. Ich bin dann beim Malen hängen geblieben.“
Buchstaben erobern die Wände
Der 50-Jährige ist Graffiti-Künstler. Der Ursprung von Graffiti beruht auf Buchstaben. Wie viele Künstler in der Szene fing Buschhardt mit sogenannten Taggs an, sich einen Namen zu machen. Ein Tagg ist eine Signatur, ein Synonym für den Künstler. Mit ihm drückt er aus: „Ich war hier.“ Buschhardt nennt sich THOE.
Schon 1965 hatte Darryl McCray aus der amerikanischen Stadt Philadelphia das Wort „Cornbred“ auf Flächen und Wände in jeder Straße von New York gesprüht. Andere machten es ihm nach. Die Graffiti-Bewegung war geboren.
In Buschhardts Jugend gibt es zahlreiche Gruppierungen in Bremerhaven: Da waren die Rocker in Lederkutte und die schwarz gekleideten Gruftis. Weite Hose, Kapuzenpulli und Käppi sind dagegen die Merkmale der Hip-Hop-Kultur. Die Kleidung sorgte damals für verwunderte Blicke und Spott. Für die Sprayer ist speziell der Kapuzenpulli ein Mittel, um bei ihren teilweise illegalen Aktionen nicht erkannt zu werden.
Hip-Hopper vernetzen sich über alle Grenzen hinweg
Mit sechzehn steigt der gebürtige Bremerhavener in die Szene ein. Spraydosen kosten etwa acht Mark pro Stück. Das ist für einen jungen Mann, der gerade eine Lehre begonnen hat, viel Geld. Er und seine Kumpels besprühen, was ihnen unter die Finger kommt. Züge wurden zu bewegten Leinwänden. Und jedes Bild erreichte plötzlich ein großes Publikum, wenn es durch die Lande rollte. „Oft ging auch etwas schief und es gab Ärger mit der Polizei“, erinnert sich Buschhardt.
Schwere Zeiten für die Graffiti-Szene in Bremerhaven brechen an, als Volker Holm 1993 zum Baustadtrat gewählt wird. Holm verbietet von heute auf morgen jegliches Besprühen legaler Wände, von denen es nur wenige an Schulhöfen und öffentlichen Gebäuden gab.
„Wir sind dann in andere Städte und Länder gereist, um uns auszutauschen und zu sprayen. Irgendjemand kannte einen Hip-Hopper oder Graffiti-Maler, hatte die Telefonnummer und man nahm Kontakt auf. Mit dem Interrail-Ticket ging es zum Beispiel nach Frankreich oder Holland. Vor Ort schlief man auf dem Boden bei dem jeweiligen Bekannten.“
Die Amis mischen die Szene in Bremerhaven auf
Die Stile der Graffiti-Sprayer unterschieden sich vor dreißig Jahren regional stark voneinander. Bremerhavener taggten in der 90ern mit einer schwungvollen, verschlungenen Schrift. Bilder aus anderen Teilen der Welt waren nicht so leicht zu bekommen und verbreiteten sich nur langsam.
Prägend für die Entwicklung der Hip-Hop-Szene ist New York. Es ist das Mekka der Graffiti-Künstler. Dort finden bereits die ersten Ausstellungen der Straßenkunst statt, als in Bremerhaven noch am Schriftzug gebastelt wird. Die Bremerhavener werden besonders durch die hier stationierten Amerikaner beeinflusst. Die Soldaten kopieren den Künstlern Videotapes und zeigen ihnen Filme der Hip-Hopper in den Staaten.
Die Variation des Schriftzuges durch Verschachteln und Verzerren der Buchstaben ist eine andauernde Entwicklung bei vielen Künstlern. „Allerdings hängt die Form auch vom Ort ab, an dem das Bild entsteht. An der Autobahn macht es keinen Sinn, komplizierte Formen zu sprühen. Die Blickzeit der Autofahrer beträgt nur wenige Sekunden, deswegen muss der Text schnell erkennbar sein“, erläutert Buschhardt.
Wie kommt das Bild an die Wand
Bevor die Graffiti-Künstler ihr Motiv an die Wand sprühen, wird die Fläche mit Buchstaben gerastert. Es ist egal, was dort geschrieben steht. Die Buchstaben dienen nur der Orientierung. Am Rechner wird ein Bild des späteren Motives über das Foto der beschriebenen Wand gelegt. Die Deckkraft des Motivbildes wird reduziert und die Künstler können nun anzeichnen, wo welches Detail an der Wand stehen muss. Die Methode des „Doodle Grid“ ist die gängige Art der Rasterung, wenn man keinen Beamer nutzt.
Buschhardts aktuellstes Projekt ist in der Hafenstraße 142 zu sehen. Es zeigt einen Fischer, der sein Netz auswirft und die Namen der Sprayer, Ast und Thoe, einfängt. Im Zuge des Festivals „Haven Beatz“ bekam Buschhardt den Auftrag, ein Motiv an die Wand zu zaubern. Er nutzt seine Kontakte und lädt zwei Berliner Künstler in die Stadt ein. Innerhalb von fünf Tagen entsteht das maritime Motiv des Fischers. Buschhardt führt Vorarbeiten aus und setzt den geschwungenen, grün-blauen Schriftzug auf die Wand.
Weitere Bilder, an denen der Bremerhavener mitwirkte, sind in der Zeppelinstraße, eine Frau schwimmt unter Wasser, und in der Frenssenstraße in Lehe zu sehen. Dort schwebt ein Oktopus durch das Viertel.
Der Polizeichef der Dom Rep liebt Graffiti
2020 fliegt Buschhardt zum ersten Mal in die Dominikanische Republik. Über Instagram findet er Graffitikünstler im Land. Er schreibt einen von ihnen an. Die beiden haben sich vorher nie getroffen. Inzwischen sind sie befreundet und Buschardt war drei weitere Male zu Besuch in Südamerika. Graffiti wird in der Dominikanischen Republik hoch geschätzt. „Während ich malte, kam der Polizeichef des Ortes vorbei und fragte mich, ob er ein Video von der Arbeit auf der Website der Stadt einbinden darf“, erzählt er begeistert.
Buschhardt bekam als junger Mann zahlreiche, teure Anzeigen wegen illegalem Sprühen. Die Liste seiner Taten reicht von New York bis Amsterdam. Heute kann er darüber lachen.
Bessere Zeiten für die Kunst
Der 50-Jährige setzt sich seit Jahren für ein bunteres Stadtbild ein. „Graffiti kann einen Bezirk aufwerten. So ist es zum Beispiel in Wynwood, in Miami, passiert. Wynwood war ein verwahrlostes Viertel. 2009 gestaltete dort eine Gruppe von Graffiti Malern die Außenwände sechs riesiger Lagerhallen. Das hat alles verändert. Es eröffneten vegane Läden, Galerien und Mikro-Brauereien. Heute ist Wynwood total angesagt. In Lehe gibt es auch jede Menge alte, aber schöne Häuser. Man könnte viel mehr aus dem Bezirk rausholen“, sagt Buschhardt.
Wer nun Lust auf Graffiti bekommen hat, der sollte sich Anfang September bei dem Event „Summa Madnezz“ umsehen. Es findet in der Oststraße im Fischereihafen statt. Eine 400 Meter lange Wand wird jedes Jahr neu besprüht. Buschhardt hat das Event zusammen mit Freunden organisiert. Es kommen rund 50 Künstler, um teilzunehmen: Einer aus Island, zwei aus Wales und viele weitere querbeet aus ganz Deutschland. 1.000 Quadratmeter warten auf frische Farbe aus der Dose.