Die AfD, Alternative für Deutschland, spaltet die Gesellschaft. Doch nur über die Partei reden, reicht nicht, findet die Redakteurin. Sie besucht in der Woche vor dem Wahlkampf ein Treffen von AfD-Mitgliedern und Sympathisanten.
Das Licht im Saal ist gedämpft. Ich bin zu einem Stammtisch-Treffen des AfD-Ortsvereins Wesermarsch eingeladen. Rechts und links stehen jeweils zwei Tischreihen. Sie sind mit weißem Papiertuch und einer Flut an Flyern bedeckt. „Messer-Terror“ und „Der Hof brennt, die Politik pennt“ steht darauf. Die Optik schreit: Sonderangebot. Aber wie bin ich überhaupt hierhergekommen?
Die Mail ist unterzeichnet mit „blauen Grüßen“
Vor einigen Wochen sah ich in Nordenham drei Männer, die Plakate der AfD aufhängen. Ich unterhielt mich mit ihnen über die Partei und fragte, ob ich als Journalistin an einem Treffen teilnehmen könnte. Auch sagte ich, dass ich kein Freund der AfD bin. Kurz darauf erhielt ich per Mail eine Einladung.
Holger Brockmann, Vorsitzender des Ortsvereins Wesermarsch, teilte mir mit, dass die Mitglieder meinem Besuch einstimmig zugestimmt hätten. Bedingung sei lediglich, dass ich weder den Ort noch die Namen der Teilnehmer im Artikel nennen dürfe. Unterzeichnet war das Schreiben mit „blauen Grüßen“.
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Zum Stammtisch gehören Bierdeckel mit süddeutsch anmutender Heimatverbindung.
Höcke ist also nicht relevant?
Es gibt nur noch wenige freie Plätze im Raum. Die meisten der rund 40 Gäste sind zwischen 35 und 65 Jahren. Sie tragen Pulli und Jeans, niemand fällt mir besonders auf. Zwei Drittel sind Männer.
Ich komme mit der Frau neben mir ins Gespräch. „Wie kann man behaupten, die Partei sei nicht rechtsradikal, wenn jemand wie Höcke einer ihrer Spitzenpolitiker ist?“, will ich wissen. „Höcke ist ein einzelnes Mitglied der AfD und sitzt in Thüringen. Aber auf dem müssen nun alle rumhacken“, sagt sie. Ok, es stehen auch nicht alle CDU-Wähler hinter Merz. Aber was ist mit Gauland, Weidel, der Holocaustleugnung? Dass Hitler ein Kommunist gewesen sein soll, ist mir in dem Moment entfallen.
Aber Angela ist an allem Schuld
Sie kontert: „Ich bin 53 Jahre. Seit meiner Jugend heißt es, uhhh, rechts ist böse. Im deutschen Parlament gab es immer links, mittig, rechts. Die Regierung hat unsere Wirtschaft inzwischen gegen die Wand gefahren. Die AfD hat einen offiziellen 10-Punkte-Plan, in dem unsere Ziele formuliert sind. Das Thema Migration und Wirtschaft hängen dabei eng zusammen.“
Ich erwidere, dass die Regierung mit Corona und den Auswirkungen des Ukraine-Krieges verständlicherweise überfordert gewesen ist. Aus ihrer Sicht begann die Krise schon 2015 als Angela Merkel im Alleingang beschloss, die Grenzen zu öffnen. „Das konnte sie doch gar nicht allein beschließen“, sage ich. „Doch das hat sie getan.“ Hier scheiden sich unsere Geister.
Wer nachlesen möchte, wie es damals war, findet hier eine klarere Darstellung: www.tagesschau.de/faktenfinder/merkel-grenze-101.html.
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Die Redner dürfte ich fotografieren (von links): Kay Kanstein, Thorsten Moriße und Holger Brockmann.
Ein paar Seitenhiebe gibt es
Vorne beginnt Holger Brockmann zu sprechen. Ich notiere auf meinem Block: Lichte, grau melierte Haare, dunkler Anzug mit AfD-Stecker am Revers, dazu Sneaker. Er begrüßt die Anwesenden und stellt die VIPs vor. An diesem Abend ist der AfD-Landtagsabgeordneter Thorsten Moriße sowie der AfD-Direktkandidat des Wahlkreises 28, Kay Kanstein, zu Gast.
Brockmann bewegt sich im Raum vor und zurück, während er launige Anekdoten, die er am Infostand der AfD erlebt hat, zum Besten gibt. Im benachbarten Brake hat man bei der Aktion zwei neue Mitglieder werben können. Klatschen im Saal.
„Wir sitzen hier zusammen, aus allen Teilen der Gesellschaft – Sympathisanten, Mitglieder, Zuhörer und Mitschreiber/innen“, sagt er. Ein Blick zu mir, das Gendern ist ein Seitenhieb. Er fährt fort: „Noch fehlt die Jugend, aber das ergibt sich. Denn wir brauchen nicht viel richtig machen, die anderen machen genug verkehrt.“
Solche Sprüche fallen auch auf Jahreshauptversammlungen, bei denen das Unternehmen gern die eigene Großartigkeit gegenüber dem Gegner betont, denke ich. Das stärkt angeblich das „Wir-Gefühl“.
Flyer, Kullis und Gummibärchen
Holger Brockmann übergibt das Wort an den Bundestagskandidaten, Kay Kanstein. Der Delmenhorster ist mit seiner Frau gekommen. Dunkles Hemd mit roter Krawatte, die ist sein Markenzeichen. Er stellt sich vor: verheiratet, 59 Jahre, 19 Jahre lang Soldat gewesen, nebenbei ist er Sportmanager. Als er zum Rednerpult geht, zieht er ein Bein leicht nach.
„Ich habe manchmal das Gefühl, man kann der Presse erzählen, was man will, bei der AfD wird immer geguckt, wo sie wieder in ein Fettnäpfchen getreten ist. Und auf welche Frage man gerade keine Antwort hat.“ Das wäre also klargestellt.
Dann berichtet Kay Kanstein, dass 60.000 Flyer per Post in die Haushalte der Region verteilt wurden. Das nächtliche Plakatieren ist außerdem ein voller Erfolg. Bei der vorletzten Info-Aktion in der Fußgängerzone von Delmenhorst seien 250 Kugelschreiber und etliche Gummibärchen unter die Leute gebracht worden. „Beim letzten Mal waren es 500“, ergänzt seine Frau vom Tisch aus. Man ist stolz auf die Zahlen.
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Die Kullis der AfD gingen bei den Infoständen weg wie warme Semmeln.
Auf viele Fragen gibt es nicht nur eine Antwort
Der Gastredner Thorsten Moriße referiert über die Zukunft der Häfen, LNG-Terminals und Windräder. Dabei stützt er sich mit ausgestreckten Arm am Rednerpult ab, mit dem freien Arm unterstreicht er seine Aussagen. Am Ringfinger der linken Hand trägt er einen breiten, goldenen Ring. Auch die wirtschaftlichen Fragen sind groß. Über die Lösung kann man verschiedener Meinungen sein. Das gehört zur Demokratie, betont er.
Bevor ich gehe, fragt mich Holger Brockmann, wie mir der Abend gefallen habe. Es wird schwer, über dieses Treffen zu schreiben, sage ich. Ich habe keine Nazis gesehen, verstehe aber nicht, warum die Partei mit nationalsozialistischen Parolen und Bildern kokettiert.
Remigration und die dreckigen Lügenportale
Wir stehen uns an einem der Tische gegenüber. „Die Kandidaten müssen im Wahlkampf aggressiver auftreten. Aber weder Höcke noch Alice Weidel verherrlichen das NS-Regime“, behauptet er.
Das verstehe ich nicht. Wenn man sich anders ausdrücken wollte, würde man es doch tun, oder? Holger Brockmann relativiert: Maximilian Krah und Björn Höcke seien verbale Grenzgänger. Läge es in seiner Hand, würde er die Worte vorsichtiger wählen.
Und der Begriff Remigration? Damit sei nicht gemeint, dass man alle Migranten abschieben wolle. „Auch das dreckige Lügenportal, wie heißt es noch, Correctiv, musste ja seine Berichterstattung vom Potsdamer Treffen diesbezüglich korrigieren“, sagt er.
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Was vom Treffen übrigbleibt.
Wollen die nur spielen?
Wenn die Zusammenkunft in der Villa Adlon nichts mit Rechtsradikalismus zu tun gehabt haben soll, warum fand es dann ausgerechnet dort statt, wo 1942 die sogenannte Endlösung der Judenfrage beschlossen wurde? „Worauf sollen wir denn noch alles achten? Den Ort haben nicht die teilnehmenden AfD-Politiker gewählt“, setzt Holger Brockmann hinzu. Er muss nun weg, bietet mir aber an, für weitere Fragen erreichbar zu sein und gibt mir seine Karte.
Will die AfD also nur spielen? Auf dem Weg nach Hause denke ich über das Erlebte nach. Statt jetzt ihr Wahlprogramm von 174 Seiten zu lesen, nutze ich den Wahl-O-Mat, um die Partei zu finden, die zu meiner Lebensvorstellungen passt. Und da landet die AfD weiterhin auf den untersten Plätzen.