(erschienen 27. Juli)
Ein Spaziergang durch einen Schrebergarten ist wie ein erfrischender Cocktail: Der Besucher trifft auf Menschen aller Berufe und Herkunft, die in nächster Nähe zueinander ihrer Leidenschaft, dem Garten, frönen. Jeder auf seine Weise.
Die Kleingartenanlage Naturglück liegt direkt an der Bahnhofstraße. Sie wurde 1921 gegründet und zählt heute 120 Parzellen. 89 davon sind verpachtet. Die Parzellen sind in unterschiedlichem Zustand.
Der Garten als Versorger
Im Finkenweg liegt der Garten von Maik Matthias. Er übernahm ihn von den Eltern, die ihn wiederum vom Großvater bekamen. „Alles begann nach dem Zweiten Weltkrieg. Opa war bei der Stadt angestellt. Über Beziehungen erhielt er die Parzelle und nutzte das Land zur Eigenverpflegung. Es stand nur eine kleine Hütte drauf. Der Boden wurde genutzt, um etwas zum Beißen zu haben“, berichtet Maik Matthias.
Die Pächter eines Schrebergartens zahlen jährlich 130 Euro Kaltpacht für eine Parzelle von durchschnittlich 550 Quadratmeter Fläche. Die Laube, die darauf steht, ist Eigentum des Mieters und wird bei Abgabe des Gartens an den neuen Pächter weiterverkauft.
Der Kleingarten und seine Gesetze
Das Bundeskleingartengesetz regelt, wie das Zusammenleben in der Kolonie auszusehen hat. Zu den Regeln gehört, dass ein Drittel der Fläche dem Anbau von Obst und Gemüse gewidmet sein soll. Ein weiteres Drittel soll Ziergarten und Rasenfläche sein, das letzte Drittel dient der Laube und den Wegen. Hecken dürfen nicht höher als 1,20 Meter und das Häuschen maximal 24 Quadratmeter groß sein.
Diese Regeln sind dehnbar. Während die neuen Pächter in den vergangenen Jahren verstärkt aus anderen Ländern kamen und sich selten bewusst waren, dass es diese Vorschriften gibt, sind einige der langjährigen Pächter enttäuscht über verwildernde Parzellen.
Maik Matthias hat gerade erst ein paar Pflanzen vom Wochenmarkt mitgebracht. Er sei das ganze Jahr „am Muddeln“, selbst im Winter macht er die Beete sauber. „Sonst wächst einem das Unkraut im Frühjahr über den Kopf“, sagt er.
Er liebt den Garten, hat aber festgestellt, dass der Zusammenhalt unter den Pächtern abgenommen hat. Wenn jüngere Leute einen Garten pachten, sind sie im ersten Jahr noch mit Begeisterung bei der Sache. Dann flacht das Interesse ab. Man könne zusehen, wie das Grundstück dann verfalle, so Maik Matthias. Positiv daran sei, dass Hasen und Igel gern darin herumstrolchen. Auch Eulen wurden auf dem KGV-Gelände schon gesichtet.
Der Garten als Aufgabe
In einer anderen Ecke der Anlage sind Klaus und Gisela Meier gerade auf ihrem Grundstück aktiv. Während Gisela Meier in den Beeten rund um Gurkenpflanzen und Kartoffeln die Erde jätet, widmet sich ihr Mann handwerklichen Aufgaben. Seit einer Knie-OP „ist es mit dem Bücken nicht mehr so drin“, sagt er. Stolz zeigt er auf drei hölzerne Wandschirme in Fischgrätenmuster, die er selbst gebaut hat. Statt die 120 Euro im Baumarkt für so ein Modell auszugeben, hat er sie aus dem vorhandenen Material zusammengesetzt.
Die Grundstücke in diesem Abschnitt sehen alle gepflegt aus. Viktor Leis ist seit einem Vierteljahrhundert Pächter und Nachbar der Meiers. Ein drahtiger Mann, Anfang siebzig: „Für mich bedeutet der Garten Urlaub in Deutschland. Einfach auf dem Sofa liegen und in der Nase bohren, das bringt mir nichts. Der Garten ist unsere Krankengymnastik. Und wenn die Damen und Herren aus dem Altenheim vorbeikommen und gucken, geben wir ihnen etwas zum Probieren aus dem Beet. Das selige Lächeln der Leute sollten Sie sehen.“
Viktor Leis wirkt begeistert, nimmt aber auch kein Blatt vor den Mund: „Es gibt viele neue Pächter, die aus den unterschiedlichsten Ländern stammen. Einige von ihnen bilden Gruppen und bleiben nur unter sich. Es wäre schön, wenn mehr Kontakt bestehen würde.“
Der Vorsitzende des Kleingartenvereins, Frank Mengelkamp, weiß um die Bedenken der Pächter. Er sagt: „Die Zeiten ändern sich. Es gibt in unserer Kolonie etwa zwölf Parteien, die zugezogen sind. Nicht alle sprechen ausreichend Deutsch. Wenn es Probleme gibt, wende ich mich an meinen Dolmetscher in Parzelle 108. Das ist ein Iraker, der seit 25 Jahren in Deutschland lebt. Der sorgt dann für Ordnung.“
Der Garten als Ort der Begegnung
Viktor Leis erinnert sich an alte Zeiten: „Wenn das Gatter zum Garten geschlossen war, hieß das: Lass mich in Ruhe. Auch wenn ich gerade vor deinen Augen im Garten sitze. Daran haben sich alle gehalten. Heute sind solche Gebote ein wenig in Vergessenheit geraten.“ Er lächelt versöhnlich, dann verschwindet er zwischen seinen Obstbäumen. Seine Frau schaue bald vorbei und es gebe noch viel zu tun.
Gisela Meier will nicht falsch verstanden werden. Sie betont: „Wir fühlen uns in unserer Ecke wohl. Jeder redet mit jedem und wir helfen einander. Ich möchte auch nicht, dass mir jeden Tag jemand sagt, was wie zu sein hat.“ Darin sind sich die drei einig: Es gibt Wildwuchs und an einigen Stellen könnte es besser laufen, aber der Schrebergarten ist ein kleines Paradies.
Im nächsten Moment gehen etwa 15 verschleierte Frauen am Weg vorüber. Ein älterer Herr steht an seinem Gartentor und schaut ihnen ein wenig befremdet nach. Zugegeben, man erwartet hier nicht unbedingt eine große Gruppe Muslimas. Es sind Syrerinnen, die seit einem Jahr einen Garten gepachtet haben und dort Gemüse anbauen. Einmal in der Woche trifft sich die Frauengruppe, bestehend aus Schwestern, Cousinen und Tanten, dort. Bei diesen Zusammenkünften essen sie gemeinsam und spazieren eine Runde durch die Anlage.
Der Herr sagt, er habe nichts gegen Zugezogene. Auch seine Nachbarn sind Syrer, mit ihnen kommt er gut aus. Aber ihn stört, was viele der Alteingesessenen bemängeln: „Die neuen Leute kennen die Kultur des Schrebergartens nicht. Sie wollen nur grillen und feiern. Der Rest interessiert sie nicht.“ Es klingt ein wenig wehmütig.
Der Garten als neuer Lebensabschnitt
Eine der neuen Pächterinnen in der Gartenkolonie Naturglück ist Beate Kohrt. Die 63-Jährige kam vor fünf Jahren eher zufällig an ihren Garten. Als die Kinder ausgezogen waren, fiel ihr zu Hause die Decke auf den Kopf. Eines Tages saß sie im Vereinsheim des Schrebergartens und kam mit der Betreiberin ins Gespräch. Die wollte just ihren Garten verkaufen. Beate Kohrt griff sofort zu.
„Es war alles Wiese mit ein paar alten Bäumen drauf, wunderschön. Ich musste mich selbst kneifen, um zu glauben, dass ich jetzt einen Garten habe“, sagt sie. Beate Kohrt baute erst Mais und anderes Gemüse an. Die Schnecken fraßen ihr die Blätter der Bohnen über Nacht weg. Vor zwei Jahren sattelte sie deswegen auf Blumen und Kräuter um.
Aus Ringelblumen macht sie Hautcreme. Auch den Nachbarn hat sie schon geholfen, wenn die rissige Haut hatten. Ein bisschen Kürbiskernöl vermischt mit Ringelblume ist ihr Rezept für weiche Füße. Bei Neurodermitis hilft Kürbiskernöl mit Honig gemischt. Drei Sorten Pfefferminze wachsen in ihren Beeten. Früher hielt Beate Kohrt Schafe, schlachtete sogar selbst. Wieder einen Garten zu haben, hat ihr einen neuen Lebenssinn gegeben.
Der Garten mit Zukunft
Der Verein Naturglück feierte 2021 sein 100-jähriges Bestehen. Bei einigen Pächtern hatte sich das Gerücht festgesetzt, dass die Stadt den Pachtvertrag nicht verlängern würde. Frank Mengelkamp ging daraufhin zur Verwaltung und fragte nach. Ihm wurde versichert, dass es keinen Plan gäbe, dort Häuser zu bauen oder den Kleingarten aufzulösen. Die grüne Lunge wird Nordenham wohl noch lange erhalten bleiben.