Jörg fährt seit 42 Jahren Taxi. „Angefangen habe ich während der Bundeswehrzeit. Ich hatte wenig Geld und als Taxifahrer konnte man gut Knete machen“. Die ersten 14 Jahre fährt er nur nachts an den Wochenenden. Damals florierte Nordenham. Es gab rund 105 Kneipen in der Stadt und zahlreiche beliebte Etablissements im Rotlichtmilieu.
Ein Überfall wird geplant
Bei einer dieser Fahrten lassen sich drei Männer um 2 Uhr im La Mirage am Rahden abholen. Ziel ist ein weiteres Bordell in Brake. Die Fahrt führt über Land. Da richtet sich einer der Gäste an seine Kumpel und macht ihnen einen Vorschlag: „Was haltet ihr davon, den Taxifahrer zu überfallen?“
„Mir ging natürlich die Pumpe. Ich sagte: Freunde der Sonne, ihr könnt von mir alles haben. Meinen Geldbeutel, das Auto gebe ich euch dazu. Ich möchte nur aussteigen dürfen“, sagt Jörg. Stattdessen verlangen die Drei von ihm Gas zu geben. Bei ihrer Ankunft soll er im Dunklen parken, damit nicht jeder sieht, was sie mit ihm vorhaben. Doch statt Prügel bekommt der Taxifahrer 50 Mark in die Hand gedrückt. „Danach meldete ich mich bei der Zentrale und sagte: Wenn die wieder anrufen, fahre ich nicht hin!“
Als die ersten Aids-Fälle, Anfang der 80er, bekannt werden, nehmen die Nachtfahrten drastisch ab. Ein guter Tag bleibt dennoch der Mittwoch. Da finden die Polterabende statt. Die Fahrer streiten sich oft darum, wer die Schicht übernimmt. Wenn Jörg nicht Taxi fährt, verbringt er die Nächte gern in der Taverne. Die Kneipe hatte damals noch rund um die Uhr geöffnet. „Ich kam nach Hause, duschte und ging direkt weiter zum Wehrdienst“, sagt er.
Der Fahrgast hat kein Geld
Bevor es Handys gab, bestellten die Kneipen auf Anfrage ein Taxi bei „ihrem“ Unternehmen. An einem Sonnabend wird Jörg zur Kneipe Kap Horn, nahe der Midgard, gerufen. Der Gast ist schick gekleidet und will nach Soltau gebracht werden. Einziges Problem ist, dass er laut eigener Aussage kein Geld dabei hat. Zahlen könne er erst bei Ankunft.
„So eine Tour wollte ich mir nicht entgehen lassen. Auf der anderen Seite stand das Risiko, dass er mich prellt“, sagt Jörg. Der Mann lässt sich von den Zweifeln des Fahrers nicht beeindrucken. „Ich habe ihn eingesackt und bin mit gemischten Gefühlen losgefahren.“ In Soltau fährt er den Gast zur gewünschten Adresse. Er bekommt sein Geld, es geht zurück nach Nordenham.
Taxifahrer mussten damals genaue Ortskenntnis vorweisen. Heute übernimmt die Aufgabe das Navigationsgerät. Als die noch unbekannt sind, holt Jörg eine ältere Dame ab. Sie nimmt im Beifahrersitz Platz, sieht das Display aufleuchten und sagt: „Haben Sie auch so eine elektrische Landkarte?“
„Lange Touren buchen meistens Geschäftsleute, die zu einem Meeting müssen. Die reden nicht viel, sondern arbeiten im Auto“, sagt der 60-Jährige. Bei einer Fahrt nach Hamburg wird Jörg von zwei Herren angewiesen „die Klappe zu halten“.
Am Ankunftsort verschwinden die beiden in einem Gebäude im Gewerbegebiet. Sie sagen, sie seien in etwa einer Stunde zurück.
Es gibt keinen Imbiss in der Nähe. Statt einer wartet er acht Stunden. „Sie stiegen dann ohne Erklärung in den Wagen. Ich fuhr zur nächsten Raststätte und informierte sie darüber, dass ich nun Pause machen würde.“
Die Geschäftsleute haben dafür kein Verständnis. In Folge ist der Taxi-Betrieb die weiteren Aufträge der Firma los. Jörg bedauert den Verlust solcher Kunden nicht.
Bad Orb und ein fast unmoralisches Angebot
Die weiteste Fahrt führt Jörg in die Kurstadt Bad Orb bei Frankfurt. Der Taxifahrer befördert ein betagtes Ehepaar, die rund 600 Kilometer an ihren Urlaubsort. Nach mehreren gemeinsamen Stunden im Auto wird er zum Essen eingeladen und bekommt reichlich Trinkgeld obendrauf.
Und dann ist da noch die junge Dame, die ihn für den ganzen Abend „mieten“ möchte. Ihn und den Wagen, um genau zu sein. „Ich habe sie leicht angesäuselt aus der Altstadt (ehemalige Kneipe in der Schulstraße) abgeholt“, erinnert er sich. Der Frau schwebt nun ein luxuriöses Essen vor.
Weil es in Nordenham kein passendes Lokal gibt, schlägt Jörg ein Restaurant in Delmenhorst vor. „Nix wie hin da“, sagt die Kundin. Sie zahlt Vorkasse, bucht ihn samt Wagen für die ganze Nacht. Die beiden gehen ausgiebig tanzen. Morgens um 3.30 Uhr setzt er sie zu Hause ab. Taxifahrer erleben eben eine Menge.