(erschienen in der KZW im Dezember 2024)
Manche Lebensgeschichten sind voller Wendungen. Sie zeugen von Mut und Entscheidungskraft trotz Ungewissheit. Die gesammelten Erfahrungen des Seglers Alwin Göhring kommen den Teilnehmern seiner Kurse zugute.
Alwin Göhring und seine Frau Kerstin, genannt Cheesy, leiten seit 23 Jahren die Yachtschule „My Way“ in Nordenham. Dabei hatte der heute 77-Jährige ursprünglich den Plan, um die Welt zu segeln.
Die Liebe zum Wasser entdeckt der gebürtige Hildesheimer bereits früh. Sein Vater schenkt dem Jungen den Schlauch eines Lkw-Reifens, damit paddelt er stundenlang im Wasser herum. Das zweite geliebte „Wassersportfahrzeug“ ist eine Luftmatratze, mit der er, während der Wohnzeit der Eltern in Österreich, auf kalten Gebirgsflüssen unterwegs ist.
„In meinem Kopf wollte ich immer weite Reisen auf dem Wasser machen“, sagt Alwin Göhring. Eine davon führt mit dem Surfboard rund um Korsika. Nach zwölf Jahren bei der Armee folgt eine Ausbildung zum Dreher, dann macht er sich als Unternehmensberater selbstständig. Er ist erfolgreich, merkt aber bald, wie die Arbeit ihn auslaugt. „Ich konnte irgendwann kaum noch Alwin sein“, sagt er.
Ein Weg aus dem Hamsterrad
Mit Dreißig kauft er sein erstes Segelboot. „Ich hatte im Grunde keine Ahnung vom Segeln und fuhr den anderen einfach hinterher. Dann stellte ich fest, dass das nicht sehr sicher ist“, erzählt er. Er macht den Sportbootschein für Binnengewässer und die See. Sein Ziel ist nun das Mittelmeer. Alwin Göhring will einen Weg aus dem Hamsterrad finden. Dass er weiterhin Geld verdienen muss, ist ihm klar. Die Lösung ist, sich und das Boot zu verchartern.
Mit 47 verkauft er sein Unternehmen und lebt auf seinem Boot in Mallorca. Sein Plan ist, die Welt zu umsegeln. In den kommenden drei Jahren will er herausfinden, was für das neue Leben nötig ist, wie er sich mehrere Tage auf See ernähren kann und ob er die Enge des Schiffes für mehrere Tage aushält.
Spontane Besuche auf Mallorca
Für seine Freunde und Bekannte ist ein Besuch bei dem Mann auf dem Boot ein beliebtes Urlaubsziel. „Es kam vor, dass auf dem Bootssteg plötzlich mehrere Koffer von Leuten standen, die spontan vorbeigekommen waren“, sagt er. Mobiltelefone gibt es noch nicht, die Postzustellung bei den Bootsbewohnern ist nicht sehr zuverlässig. Die Freunde dagegen erwarten Bewirtung und eine Fahrt um die Insel. So geht das 1,5 Jahre. Dann zieht Alwin Göhring die Bremse. Er richtet eine Bordkasse ein und lässt sich die Fahrten bezahlen.
Einige Gäste bekunden ihr Interesse am Bootsschein. Der Segler sieht seine Chance. Während sie ihren Urlaub im Mittelmeerraum verbringen, bereitet er sie auf die Prüfung in Deutschland vor. Die „My Way“ wird zum Schulschiff. Mit 10,85 Meter Länge, 6,5 Tonnen und bis zu sieben Schlafplätzen ist die Segelyacht vom Typ Southerly 105 ideal für kleine Gruppen. Cheesy ist in dieser Zeit mit einem Boot in der Karibik unterwegs. Die beiden sind sich noch nicht begegnet.
Ein Ticket für die Weltreise
Der Termin für die geplante Weltumseglung rückt näher. Es sind noch zahlreiche Arbeiten am Schiff zu erledigen. Da lernt Alwin Göhring die Seglerin kennen. Sie interessiert sich brennend für die „My Way“ und bietet an, bei den anstehenden Reparaturen zu helfen.
Am Ende ihrer Reisezeit bringt er die Frau zum Flughafen. Wieder zu Hause am Stettiner Haff, findet sie am kommenden Tag einen Brief von einem Tourismusunternehmen in ihrem Kasten. Darin ein Ticket: Mallorca, One way, übermorgen. Es ist von Alwin Göhring. Sie packt ihre Sachen und nimmt den Flieger. Ohne zu wissen, ob Cheesy die Einladung annimmt, fährt der Segler zum Flughafen und wartet. Seitdem sind die beiden ein Paar.
Pläne ändern sich
Er ist jetzt 53 Jahre. Bevor der große Törn losgeht, fragt er seine Partnerin, was sie tun würde, wenn ihre Eltern krank werden. „Dann fliege ich nach Hause“, ist die Antwort. Ihre Eltern leben in Stuhr, bei Bremen. „In so einer Situation kann es Jahre dauern, bis die Person zurückkommt. In der Zwischenzeit wäre ich allein unterwegs. Ich wollte aber nicht in irgendeinem Hafen rumgammeln und darauf warten, dass sie zurückkommt“, sagt Alwin Göhring.
Stattdessen tauschen sie die Weltmeere mit einer Wohnung in Brake. Ein paar Jahre später ziehen sie nach Stollhamm. Die „May Way“ bekommt einen Platz im Großensieler Hafen. „Ein kleiner Hafen auf Kilometer 58, der bei Ebbe trocken fällt. Ein interessantes Marschen- und Stadtmuseum ist nur wenige Meter entfernt“, wird die Gegend in einem Heimatführer beschrieben.
Die Segelschule in Großensiel
Cheesy und Alwin Göhring gründen 2001 die Segelschule „My Way“. Der Segel-Club Nordenham stellt ihnen die Räume zur Verfügung. Kursteilnehmer kommen aus ganz Deutschland. Das Paar bietet in ihrer zertifizierten Schule flexible Zeiten und kleine Gruppen. Die Vorbereitung auf die Prüfung für den Sportbootführerschein See dauert rund drei Monate. Bis vor kurzem gehörten außerdem Segeltörns auf Nordsee und Ostsee und Schiffsüberführungen in den Mittelmeerraum zum Repertoire der beiden.