Christoph Hahn studierte Biologie an der Universität Oldenburg. 2015 schloss er sein Studium mit dem „Master of Science“ ab. Seitdem arbeitet er an seiner Promotion die er dem Grünkohl widmet. Der 34-Jährige wurde bereits für seine Forschung zur Vielfalt von Grünkohlsorten und ihren gesundheitsförderlichen Inhaltsstoffen ausgezeichnet.
Wie sind Sie auf den Grünkohl gekommen? Als gebürtiger Oldenburger bin ich mit der Kultur des Grünkohles aufgewachsen. Vor meiner wissenschaftlichen Tätigkeit kannte ich das Gemüse nur aus der Küche. Ich wollte im Rahmen meiner Bachelorarbeit etwas mit regionalen Nutzpflanzen machen. Und da kam unser Forscherteam an der Uni Oldenburg schnell auf den Grünkohl. Außerdem hatten wir Kontakt zu einem Landwirt in Rhauderfehn, aus Friesland, der sich auf alte Sorten, und speziell auf Grünkohl, ausgerichtet hatte. Inzwischen wissen wir, dass es etwa 150 Grünkohl Sorten weltweit gibt. Wir fingen damit an, die verschiedenen Sorten zu vergleichen.
Wie haben sich die Sorten bis heute verändert? Im Wesentlichen wurde bei den gängigen Sorten darauf geachtet, dass die Pflanzen gleichmäßig wachsen. Die Samen werden großflächig maschinell ausgesät und sich selbst überlassen. Im Oktober wird die Pflanze geerntet. In der Landwirtschaft ist es wichtig, dass gleichbleibend hohe Erträge erzielt werden.
Dafür sollen die Blätter groß sein, damit viel Blattmaterial geerntet werden kann. Die Pflanzen wachsen idealerweise alle in etwa hüfthoch, so dass sie mit den Maschinen gut geerntet werden können. Worauf man bei der Züchtung weniger Wert gelegt hat, ist der Geschmack und die Veränderung der Inhaltsstoffe. Im Wesentlichen ging es um Uniformität und Ertragssicherheit.
Sie haben im Laufe Ihrer Promotion eine eigene Sorte gezüchtet. Was hat es damit auf sich? Das ist die sogenannte Oldenburger Palme. Unsere Züchtung wird eine mittelhohe Palme werden, etwas größer als die Sorten die zurzeit im großen Stil zu finden sind.
Auf was haben Sie bei dieser Züchtung geachtet? Die Oldenburger Palme soll so eine Art Super-Grünkohl sein. Wir haben versucht, die besten Eigenschaften des Gemüses in ihr zu vereinen. Die Oldenburger Palme soll gut schmecken und einen ausgewogenen Mix gesunder Inhaltsstoffe haben. Sie soll außerdem leicht anzubauen sein, so dass sie auch für den Hobbygärtner interessant ist. Und sie soll resistent gegen typische Schädlinge des Grünkohl, wie die Raupe des Kohlweißlings, oder auch Schnecken, sein. Wir bräuchten jetzt nur noch jemanden, der das Saatgut großflächig produziert.
Sie haben sich so lange mit dem Gewächs befasst. Wie kann man sich den Alltag eines Grünkohlforschers vorstellen? Meistens fängt der Tag im Büro an, dann geht es rüber zum Feld in Wechloy oder ins Gewächshaus. Ich pflücke zum Beispiel Blattmaterial von den Pflanzen und nehme die frischen Blätter mit ins Labor. Dort werden sie zu Pulver gemahlen, das ich verwenden kann, um die Inhaltsstoffe zu analysieren. Das Material wird anschließend feiner maschinell auf die Mengen der jeweiligen Stoffe analysiert. Mit diesen Daten gehe ich an den Computer und vergleiche die verschiedenen Sorten. Zuletzt folgt der Bericht und im besten Fall eine Veröffentlichung der Ergebnisse.
Und wo fanden Sie den besten Grünkohl? Das ist so nicht zu beantworten. Für jeden Geschmack gibt es eine Sorte. Das reicht von bitter-kohlig über nussig bis hin zu ganz mild. Im Bezug auf die Inhaltsstoffe ist das ein bisschen leichter. Unsere krausen Sorten, die wir hier in Norddeutschland kennen, aber auch die alten Sorten, haben einen ausgewogenen Mix in der Bandbreite der gewollten Inhaltsstoffe.
Was ist dran am Gerücht, dass der Grünkohl Frost haben müsse, bevor er geerntet werden kann? Das ist nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig. Wir konnten zum ersten Mal eine Studie mit Daten liefern, die zeigt, was der Frost mit dem Zucker im Grünkohl macht. Man sagt, der Grünkohl brauche Frost, damit er schmackhafter wird. Wir konnten feststellen, dass durch kalte Temperaturen die Zuckerproduktion im Grünkohl angeregt wird. Aber dafür brauchen wir nicht auf eine Frostnacht zu warten.
Bereits, wenn die Temperaturen unter zehn Grad fallen, beginnt der Grünkohl in erhöhtem Maße, den Zucker zu produzieren. Die Pflanze lagert den Zucker in ihre Zellen ein, um Frostschäden zu verhindern. Würde der Grünkohl damit erst in der Frostnacht anfangen, wäre es zu spät.
Welche Grünkohlsorte eignet sich für die Allgemeinheit? Besonders schmackhaft sind die Varianten, die ein wenig milder sind. Also gerade für diejenigen, die nicht das kohlig-bittere mögen, wäre der italienische Palmkohl eine gute Variante. Aber auch einige krause, ältere Sorten kämen in Frage.
Wie sollte man den Grünkohl servieren, um von seinen guten Eigenschaften zu profitieren? Ich plädiere sehr dafür den Grünkohl so wenig wie möglich zu verarbeiten. Je roher man die Grünkohlblätter nutzt, desto mehr gesunde Inhaltsstoffe bleiben erhalten.
Ich bin ein Fan von Grünkohlsalat, gern angereichert mit Fetakäse und Nüssen. Man kann die Blätter marinieren, so dass die Blattstruktur aufgebrochen wird, dann ist die Konsistenz des Blattes zarter. Auch als Zutat in Smoothies ist Grünkohl eine großartige Wahl. Bei der klassischen Zubereitung, bei der das Gemüse stundenlang gekocht wird, gehen durch die Hitze leider viele der guten Inhaltsstoffe verloren.
Wenn ich selbst anbauen möchte, wie komme ich an die anderen Sorten? Wer selbst gärtnern will, der bekommt Saatgut in der Saison im Baumarkt im Gartencenter. Das Internet ist auch eine gute Quelle. Ansonsten gibt es auf den hiesigen Wochenmärkten oft Anbieter die nicht nur eine Grünkohlsorte, sondern vielleicht auch rotblättrige oder den italienische Palmgrünkohl anbieten.
Ihre Zeit an der Universität in Oldenburg läuft ab. Was sind Ihre Pläne danach? Ich werde auf Jobsuche gehen. Das Projekt fortzusetzen, wird erstmal nicht möglich sein. Ich werde schauen, dass ich etwas finde, was meinem methodischen Portfolio entspricht. Also gern im Bereich Pflanzenzucht, Saatgutverbesserung, Optimierung von Sorten und Optimierung von Pflanzen hinsichtlich der Inhaltsstoffe oder der Klimaangepasstheit. Ich habe noch keine 100% ig genaue Vorstellung, bin aber dankbar für alles, was sich ergibt.
Und, um den Bogen zurück in die Region zu schlagen, wie wurde das Grünkohlessen überhaupt zur Tradition? Grünkohl ist winterhart und damit eine der wenigen frisch verfügbaren Gemüse im Garten im Winter. Die Tradition der Kohlfahrt hat ihre Ursprünge in Oldenburg. Der Oldenburger Turnerbund hat früher Winterwanderungen gemacht. Bei diesen Wanderungen kehrten die Teilnehmer in ein Lokal ein, um sich bei einer Suppe aufzuwärmen. Als der Wirt einmal keine Suppe hatte, servierte er stattdessen Grünkohl mit Bauchspeck. Das hat den Turnern so gut gefallen, dass sie gesagt haben: ,Das machen wir jetzt jedes Jahr.‘ Der Ursprung für die Kohlfahrten, die wir auch heute noch haben, lag also in Oldenburg.