(erschienen am 25. April 25)
Jeden Freitag segelt die „Großherzogin Elisabeth“, kurz „Lissi“, am Haus der Familie Hartmann auf Harriersand vorbei. Am Bug des Gaffelschoners blickt eine Galionsfigur auf das Wasser der Weser. Den Entwurf für die Frau im rot-blauen Kleid machte Birgit Hartmann, ihr Mann schnitzte sie aus dem Holz. Seit 35 Jahren hat sich das Paar den Galionsfiguren verschrieben. Zu ihren Kunden gehört Jeff Bezos, der Gründer von Amazon. Aktuell laufen die Vorbereitungen für einen großen Yachtauftrag. Genaueres darf Claus Hartmann über den Kunden nicht sagen. Wo viel Geld im Spiel ist, hält man sich bedeckt.
Die Planungsgespräche dauern oft mehrere Jahre
Der 67-Jährige sitzt entspannt an einem Tisch im Garten und raucht eine selbstgedrehte Zigarette. „Wir kriegen alles über den Bau von Superyachten und Segelschiffen mit. Die meisten werden in Europa gebaut. Die Szene ist sehr klein“, sagt er. Weltweit sind die Hartmanns die einzigen professionellen Anbieter von Galionsfiguren. Das Auftragsbudget kann von 200 bis hin zu 200.000 Euro reichen.

Als die fünfmastige Windjammer „Golden Horizon“ 2017 in Kroatien vom Stapel läuft, ist klar, dass das Luxus-Kreuzfahrtschiff einen Bugschmuck von Claus Hartmann bekommen soll. Über fünf Jahre laufen die Planungsgespräche. Es entsteht das Modell einer Meerjungfrau, die sich mit ihren rückwärtsgewandten Armen an der Bordwand festhält. Dann kommt die Corona-Pandemie. Die Jungfernfahrt des Schiffes wird verschoben.
„Der Auftrag steht. Die Reederei verdient aber jetzt erstmal Geld mit der Golden Horizon. Wenn sie so weit sind, beginne ich mit der Schnitzerei“, sagt er.
Er stammt aus einer alten Seefahrerfamilie
Der Künstler stammt aus einer alten Seefahrerfamilie aus Brake und Elsfleth. Der Urgroßvater ist Reeder. Er sammelt Galionsfiguren von gestrandeten und abgewrackten Schiffen. Die faszinieren Claus Hartmann bereits in der Kindheit. In einem Trödelmagazin seiner Eltern findet er einen Artikel über eine berühmte Sammlung, die für die Ausstellung auf dem Museumsschiff „Cutty Sark“ restauriert werden soll. Darunter sind wieder Fotos von Galionsfiguren. Ihr Bild setzt sich in seinem Kopf fest.

In den Sommerferien heuert er auf Küstenmotorschiffen an und arbeitet in den Häfen. Zum Zeitvertreib schnitzt der junge Mann. Während des Aufenthaltes im englischen Hull spricht ihn ein Kapitän auf seine Arbeit an und kauft sie für 100 Mark, damals eine stattliche Summe. „Da wurde mir klar, dass ich mit Kunst Geld verdienen kann“, sagt er.
Seine Eltern drängen dagegen auf einen vernünftigen Beruf. Sie wollen, dass er Medizin studiert. Claus Hartmann schließt eine Ausbildung zum Heilpraktiker ab, schreibt sich ein Jahr später für das Medizinstudium an der Universität Witten/Herdecke ein und macht dort sein Physikum. „Aber ich wollte mehr Bandbreite – ein bisschen Acker, ein bisschen Schnitzen, ein bisschen Medizin. Da fielen mir die Galionsfiguren wieder ein“, erinnert er sich. Die Kunst war so gut wie ausgestorben. 1994 liegt die „Großherzogin Elisabeth“ im Hafen von Elsfleth. Er macht dem Schulschiffverein ein Angebot und erhält seinen ersten Auftrag.

Ein starker Mann für die Russen
Rund um das Haus auf Harriersand zeugt vieles von der Verbundenheit zum Wasser. Das Grundstück ist zum Schutz vor den Fluten von einem Wall umgeben. Zugang zum Garten bietet ein Schiffsschott. Der zum Wohnraum ausgebaute ehemalige Scheunenboden hat einen steilen Treppenaufgang mit einer hölzernen Kabinentür. Bilder von Seglern, Schiffsteile und Fotos von der See zieren die Wände.
In seiner Werkstatt greift Claus Hartmann ein Stück Holz und zeichnet darauf ein Muster. Es sind Vorarbeiten für ein Ornament. An der Wand hängen sauber aufgereiht Bohrer, Zangen und Maulschlüssel. Geradeaus steht die Skulptur eines Mannes, der einen Arm gen Himmel streckt. Aus seiner Hand fliegt eine Taube. Die Galionsfigur gehört zu einem Auftrag der russischen Akademie der Handelsmarine in St. Petersburg. Die 300 Kilogramm schwere Arbeit für die „Mir“ ist seit sechs Jahren fertig.
Mir bedeutet übersetzt Welt und auch Frieden. Der erste Entwurf bestand ursprünglich aus einem Götterboten mit Helm, Stab und geflügelten Fersen. „Wir fanden das zu überladen und schlugen den Russen einen Mann vor, der durch seine kräftige Form dieses riesige Land verkörpert. Es hätte auch ein Bär sein können. Das fanden sie gut“, sagt er.
Das Schiff liegt derzeit in St. Petersburg. Durch den Angriffskrieg der Russen auf die Ukraine hat sich viel geändert. Die Yachten der Oligarchen wurden gejagt und festgesetzt. „Das Problem ist nicht, die Figur dort hinzutransportieren. Ich habe nur keine Lust, an der Grenze umkehren zu müssen“, sagt Claus Hartmann. Die Arbeit wird bezahlt, wenn sie ausgeliefert wird. Rund 80 Galionsfiguren des Paares bevölkern inzwischen die Weltmeere.