Schnee von gestern

Ich bin Mitte 2019 wieder nach Nordenham gezogen. Wieder, weil ich hier geboren bin, als Fisch. Wenn man an die Sternzeichen glaubt, eins von diesen kreativen Kindern mit Hang zur Tagträumerei. Ich bin allerdings überzeugt, dass eine Kleinstadt diese Eigenschaften fördert. Besonders, wenn man die Möglichkeit hat, sich als Kind mit anderen draußen auszutoben. Also, Schnickschnack Sternzeichen. Vielmehr sind der Weserstrand, der Deich und ein paar Schleichwege schuld an meinem Hang zum „herumbutschern“.

Den Nordenhamer Strand gibt es seit 1928 (ein Überschuss an Material als Folge des Weserausbaus). Damals mussten Besucher am Eintrittshäuschen 10 Pfennig zahlen. Man mietete sich ein Strandzelt, fühlte sich wie im Urlaub und blieb vielleicht bis zum Abend, wenn ein Open-Air-Konzert stattfand.

In meiner Kindheit war davon nur noch wenig übrig. Ein kleines Freibad bot bis 2014 eine Alternative zur Gezeitenabhängigkeit der Weser. Abends konnte gegrillt werden, und wir uns auf den Karussells in den Himmel drehen lassen.

Mit 14 Jahren hatte ich ein Pflegepony, ihr Name war „Fee“. Im Sommer ritt ich vom Bauernweg 3 km quer durch die Stadt zur Weser und galoppierte abschließend durch die Dünen. Ich war ein Cowboy, der Strand ein magischer Ort.

Als Jugendliche spazierten wir regelmäßig an der ehemaligen Herberge vorbei, um „Leute von sonst wo“ kennenzulernen. Meine beste Freundin und ich verliebten uns damals in einen Jungen dort. Bis wir herausfanden, dass „er“ Sandra hieß. Heutzutage würde man daraus kein Problem mehr machen, es einfach unter „Gendergeschichten“ ablegen und fertig. Damals war es ausgesprochen schockierend und schwer, das Gefühl loszuwerden, weil es nicht zum „Objekt“ passte.

Seit November, mit dem anhaltenden Lockdown und all seinen Widrigkeiten, laufe ich beinah täglich am Strand entlang. Nach Überquerung der Großensieler Fußgängerbrücke kann man wahlweise Richtung Stadt oder Richtung Hafen abbiegen. Laufen wir in die Landschaft hinein, die Stadt kann warten.

Ehemaliges Schrebergartengelände vor dem Strand

Da ist zunächst die letzte Bastion Strandhäuser. Idyllisch gelegen, jedoch nur in Erbfolge zu erwerben. Angeblich spekuliert die Stadt auf einen Abriss, sobald der letzte Erbe die Bildfläche verlässt. Im Hinterland liegt die erwähnte Jugendherberge. Inzwischen leer stehend, bzw. verkauft an einen Großinvestor aus Nordenham. Der bastelt seit Jahren an dem Gebäude herum, eine klare Bestimmung bleibt aus. Viele Wege führen von hier nach Rom und an den Großensieler Hafen.

Im Hafen liegt das letzte Fischerboot, die „Bianca“. Ihr Besitzer heißt Egon, ein geschätzt 80-jähriger Fischer, der jeden Freitag, direkt von Bord aus, geräucherten Aal und Flundern verkauft. Die Geschäfte gehen schlecht. Wie die Bauern, müssen sich die Fischer zunehmend an Regeln und Fangbeschränkungen halten, oder empfindliche Strafen zahlen. Sein Sohn hat kein Interesse, das Geschäft zu übernehmen. Egon flickt seine Netze trotzdem.

Das ehemalige Restaurant „Sander“ ist seit langem geschlossen, seit neuestem verkauft. Es ziehen „normale“ Leute ein. Gegenüber stehen die Mauern des Café „Weserstrand“. Damals war dem Gebäude eine Galerie angeschlossen, in der Aquarelle von Dali ausgestellt wurden. Das ist die einzige Ausstellung, an die ich mich erinnere. Das Ganze ging ziemlich schnell den Bach runter. Und dann kommt der Deich- unendliche Weiten, Schafsköttel und ein paar hingestreute Bänke mit Blick auf die Weser.

„Free-wheel´in“ bis nach Lütjensiel (Kleinensiel). Von Kleinensiel aus fuhr die Fähre nach Dedesdorf rüber. Heute ist der Fähranleger nur noch Ort für melancholische Blicke zur anderen Seite. Im Sommer lebt und bebt in Dedesdorf der Anleger. Eine Auswahl an Bier,- und Fischbuden, sowie die Motorradgangs der Gegend versammeln sich dort. Versuche, einen ähnlich geselligen Platz in Kleinensiel einzurichten, scheiterten bislang. Ich muss dabei immer an die Mauer in Berlin, und die Sehnsucht der Ex-Ostler gen Westen, denken. Das ist natürlich übertrieben, und bei mir nur vorhanden, weil ich so lange in Berlin gelebt habe. Mir gefällt „meine“ Seite schon recht gut.

Dementsprechend: Ich wünsche allen aufregende Tage in Nordenham!

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2 Replies to “Schnee von gestern”

  1. Uli sagt:

    Sehr schön geschrieben. Kriege gerade Sehnsucht nach Nordenham und der Freiheit an der Küste.

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