Der Obdachlose Christian Schwarz und sein Hund Bo leben seit vier Jahren auf der Straße. Sie zogen durch Polen, die Niederlanden und Deutschland. Im Ausweis des Mannes steht im Adressfeld nur die Stadt, in der er zuletzt gemeldet war. Mit etwas Glück bekommt Christian Schwarz in den kommenden Wochen eine Wohnung in Nordenham zugewiesen. Was hat er erlebt?
Der Tod der Mutter wirft ihn aus der Bahn
Im Jahr 2000 wohnt Christian Schwarz in Hamburg. Er ist Maler und Lackierer, hat einen festen Job. Dann stirbt seine Mutter. Kurz darauf wird ihm die Wohnung wegen Eigenbedarf gekündigt. „Ich bin nicht mehr klargekommen, wollte nur noch in Ruhe gelassen werden“, sagt er. Der Hund gehörte der Mutter. Er nimmt ihn zu sich und haut ab. Monatelang hält er sich mit dem Arbeitslosengeld über Wasser.
In Bersenbrück geht er das erste Mal zu einer Station der Caritas. Die geben ihm eine Liste, auf der steht, wo Tagessätze ausgezahlt werden. Auf dieses Geld haben Obdachlose ein Anrecht. Die Höhe des Betrages liegt bei rund 20 Euro pro Tag. Dazu bekommt er ein Heft mit Übernachtungsstellen. In manchen Städten kann er eine Woche bleiben, in anderen nur wenige Tage.
Christian Schwarz trägt seine Habseligkeiten auf dem Rücken. Als Zelt und Gepäck zu schwer werden, kauft er in Holland ein Fahrrad. Er und sein Hund folgen den Fahrradwegen. Sie reisen bis zu 25 Kilometer am Tag. Bei der Ankunft in einem Ort führt der erste Weg ins Rathaus, um zu klären, wer wofür verantwortlich ist und wie die Regeln sind.
Man bewirft ihn mit Flaschen
„In Holland lief ich durch ein Viertel mit riesigen Villen, wie aus dem Katalog. Die hatten Rasen, nicht mal der FC Bayern hat so einen Rasen. Ich fragte mich, sind die glücklich? Sind das reiche Leute oder jemand, der im Lotto gewonnen hat? Solche Häuser sind untypisch für Holländer. Die campen lieber oder haben ein Boot. Aber wer wohnt in solchen Gebäuden?“, sagt der 49-Jährige.
In Papenburg stellt ihm ein Mann seinen Wohnwagen zum Schlafen zur Verfügung. Der steht auf einem öffentlichen Parkplatz. In der Nacht legen Jugendliche Feuer vor dem Wagen. Als Christian Schwarz sie zur Rede stellt, behaupten sie, die Flüssigkeit habe sich selbst entzündet.
„Ich habe nicht die Polizei gerufen. Der TÜV war abgelaufen, das hätte nur Probleme gegeben“, sagt er.
An einem anderen Schlafplatz bewirft man ihn aus sicherer Entfernung mit Granitsteinen und Flaschen. Und im Winter? „Ich bin nicht kälteempfindlich. Mir sind die Zehen mal blau geworden, da habe ich die Schuhe angezogen und bin mehrere Kilometer gelaufen, damit sie wieder durchblutet werden.“ Aber das Leben auf der Straße hat auch gute Seiten.
Saufen ist nicht sein Ding
„Wo Schatten ist, ist auch Sonne. Man trifft die unterschiedlichsten Menschen. Nazis, Linke, Aufschneider. Und man sitzt dazwischen und beobachtet. Die Erfahrung kann man sich nicht kaufen. Abends rollst du deine Isomatte aus und guckst in den Sternenhimmel, statt an die Raufasertapete an der Decke.
Natürlich gibt es auf der Straße Leute, die haben sich aufgegeben. Sie saufen den ganzen Tag und warten nur darauf, dass sie irgendwann sterben. Ich habe die Verantwortung für den Hund. Allein seinetwegen muss ich klar im Kopf bleiben“, sagt er.
Im polnischen Swinemünde schläft Christian Schwarz am Hafen in einer Bushaltestelle. Als er aufwacht, liegt direkt vor ihm ein riesiges Kriegsschiff. Es ist surreal. Am Deutschen Eck bei Koblenz will er sich die Schnittstelle der beiden großen Flüsse Rhein und Mosel ansehen. Beeindruckt ist er vor allem von dem monumentalen Kaiser-Wilhelm-Denkmal.
Jeder kann auf der Straße landen
Braucht er keine Freunde? „Freunde sind Leute, die dich auffangen. Die habe ich nicht. Ich habe Bo. Wir sind ein Clan“, sagt er. Christian Schwarz hat vier Geschwister, aber kaum Kontakt zu ihnen. „Eine meiner Schwestern hat einen reichen Typen geheiratet. Da war ich zu Besuch. In der Küche hingen an einem Brett vier Schneebesen. Ich fragte: Was willst du damit? Sie: Für jeden Topf einen.- Total dekadent.”
Auf der Straße macht jeder sein eigenes Ding. In den Tageseinrichtungen treffen die Obdachlosen aufeinander. Sie tauschen sich über die Notunterkünfte und Kommunen aus. Und wie manche Beamten mit den Obdachlosen umgehen: Such dir eine Arbeit, statt hier zu betteln, schnappt einer.
„Meine Familie hatte nie viel Geld. Heute denke ich, meine Eltern hätten keine Kinder haben dürfen. Da war viel Alkohol und Gewalt im Spiel. Zum Glück überließen meine Eltern uns uns selbst. Wir konnten machen, was wir wollten: draußen spielen, Buden bauen. Das hat uns gerettet. Obdachlose sind kein Abschaum, sondern Menschen, bei denen etwas in der Vergangenheit schiefgelaufen ist. Das kann jedem passieren“, sagt Christian Schwarz.