Theodor Köhne, genannt Theo, ist mit 84 Jahren noch fit wie ein Turnschuh. Der Blexer lädt seit 37 Jahren an einem der letzten Sonntage des Jahres zur Wanderung von Blexen bis nach Burhave ein. Dieses Jahr fällt der Termin auf den 17. Dezember.
Die rund 18 Kilometer lange Strecke beginnt am Weserschlösschen. Die Gruppe wandert an Steelwind vorbei und auf dem Deichsicherungsweg runter zum Wasser. Auf der Höhe des Segelflugplatzes wechseln die Wanderer hinter den Deich und gehen dort weiter bis nach Burhave zum Butjadinger Hof.
Ins Leben gerufen hat diese Tradition der Deichwanderung Fregattenkapitän Hans Gerd Lohse. 1984 kommt er auf die Idee, mit Freunden und Bekannten und seinem Pferd im Schlepptau die Deichstrecke von Blexen bis nach Eckwarderhörne zu laufen. Ganze 36 Kilometer sind es. Theo Köhne ist von Anfang an dabei.
Als Hans Gerd Lohse zwei Jahre später aufhören will, übernimmt Theo Köhne die Organisation. Er halbiert die Strecke. Von Blexen geht es jetzt bis nach Burhave. Rund 120 Leute treffen sich jahrelang für diese Wanderung. An einzelnen Stationen können sich die Teilnehmer einen Stempel geben lassen, um ihre Leistung zu dokumentieren.
Als Zwölfjähriger wandert er erstmals nach Langlütjen 2
Theo Köhne kennt Hinz und Kunz in der Gegend. Er wird am 5. August 1939 in Burhave geboren. Seine Eltern haben ein Stück Land gepachtet und versorgen ein paar Kühe. Bis 1952 führt die Familie den Betrieb, dann läuft der Pachtvertrag aus, und sie ziehen nach Blexen. Das Land hinter und vor dem Deich ist sein Spielplatz. Mit zwölf Jahren wandert der Junge zum ersten Mal „mit ein paar Kumpels“ rüber nach Langlütjen 2. Die Insel wird einer seiner Lieblingsorte. Noch heute führt er mehrmals im Jahr Gruppen durchs Watt dorthin.
„Das war schon gefährlich, aber wir kannten uns mit dem Meer aus. Und wir waren gute Sprengmeister“, sagt Theo Köhne. Auf Langlütjen lag damals reichlich Munition, Überreste aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Kinder sind ständig draußen, stellen Netze in den Sielen und fangen Aale und Butt. „Damals war das so. Wir fielen öfter mal in den Dreck. Eine meiner Cousinen kam oft auf diese Touren mit. Dabei machte sich meine Tante immer Gedanken, ob das wohl gut geht, wenn ein Mädchen mit fünf Jungs rausfährt. Wir haben gar nicht verstanden, was sie meint. Wir wollten Abenteuer erleben, für anderes hatten wir keinen Kopf“, sagt Theo Köhne.
Von Milchbauern und Totenwegen
Bei der Wanderung am kommenden Sonntag kommt die Gruppe am ehemaligen Haus des Milchfuhrmannes Heinrich Kollmann vorbei. Es ist ein kleines Haus aus dem Jahr 1912, mit einem Stallgebäude nicht viel größer als zwei Garagen. Damals hält der Bauer ein paar Kühe, deren Milch er verarbeitet. Die Produkte liefert er jeden Morgen bis nach Burhave. Industrie gibt es kaum. Die Leute ernähren sich von der Landwirtschaft, dadurch mangelt es der Familie von Theodor Köhne in den Nachkriegsjahren nicht an Essen.
Mit Harry Thaden, dem Vater des Fedderwardersieler Fischers Söhnke Thaden, ist Theo Köhne praktisch aufgewachsen. Auch die Thadens halten Kühe und ein Schwein. Während Harrys Vater im Sommer fischen geht, kümmert sich Köhnes Vater für ihn um die Landwirtschaft.
Auf der Höhe von Schockum steht ein Bauernhof an der S-Kurve in der Deichstraße. Dort geht ein Feldweg zwischen den Wiesen hindurch bis nach Tettens. „Das ist der Totenweg. Dort wurden früher die Verstorbenen im Sarg an den Ortschaften vorbeigeführt. Der Sarg stand auf einer Kutsche, die von schwarzen Pferden mit schwarzem Geschirr gezogen wurde. Die Angehörigen gingen hinter dem Leichenwagen her bis zum Friedhof“, erzählt Köhne.
In Tettens sind die Reste des Siels zu sehen. Es ist ein unscheinbarer Graben, links am Ortseingang. Er ist fast zugewachsen. Früher führte der Siel zum Tettenser Hafen, in dem auch Schiffe lagen. Aufgrund von baulichen Veränderungen in Fedderwardersiel, 1774, begann die Verschlickung der kleineren Siele. Die Häfen wurden nach und nach aufgegeben, die Siele zugeschüttet.
Wumpken hilft bei Wind und Wetter
Der Waddenser Siel bestand bis 1962. Am Sonntag legt die Gruppe am dortigen Campingplatz eine Pause ein. Es gibt ein Glas Wumpken für jeden. Den 30-prozentigen Korn hat Theo Köhne selbst mit Wermuthstängeln angereichert. Er hilft, die Wanderung bei jedem Wetter durchzuhalten.
Wie hält er sich fit? „Ich bin nicht einer, der rumsitzen und aus dem Fenster gucken kann. Ich muss in die Welt raus.“ Vor 14 Tagen war er mit den Hurtigruten am Nordkap. Jeden Sonntagmorgen geht er um 8.30 Uhr los zur Fähre, den Deichsicherungsweg, rund 7,5 Kilometer. Montags geht er zum Turnen.
Wer an dem Deichspaziergang am 17. Dezember mitwandern möchte, der kann sich bei Theo Köhne melden. Er freut sich über Jung und Alt. Vielleicht ist jemand dabei, der die Tradition der Deichwanderung oder die Wanderungen nach Langlütjen eines Tages fortführen möchte.