Burnout – wenn der eigene Leistungsanspruch kaputt macht

Februar 4, 2023 Zeitungsartikel

(erschienen 7. Februar 23)

Höher, weiter, schneller – wer sich ständig unter Leistungsdruck setzt, riskiert seine Gesundheit. Der Begriff Burn-out ist inzwischen kein fremder mehr. Hier erfahren Sie, was das Burn-out von einer Depression unterscheidet und wie Sie es vermeiden.

„Ich mache meine Arbeit immer perfekt. Ich schaffe alle Aufträge.“ Die Einstellung passt zur Leistungsgesellschaft, nur führt sie auf Dauer bei einigen Menschen ins Burn-out.
Auf der Suche nach einem Fachmann oder einer Betroffenengruppe, die mir Auskunft über das Thema Burn-out geben könnte, offenbarte sich schon die Schwierigkeit des Symptoms. Der Begriff ist nicht klar abgegrenzt, und manchmal stellte sich die Frage, ob Depression und Burn-out ein und dasselbe sind.
Die Antwort gleich zu Beginn: Von außen betrachtet, anhand medizinischer Kriterien, erfüllt aktuell etwa jeder sechste Mensch, der sich „ausgebrannt“ fühlt, die Kriterien einer Depression. Es gibt Gemeinsamkeiten, aber die Unterschiede zu erkennen ist enorm wichtig für die Behandlung. Bei einem Burn-out kann ein längerer Urlaub oder eine berufliche Auszeit sinnvoll sein, während bei einer Depression davon abgeraten wird und eine ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung notwendig ist. Die Hauptsymptome einer Depression sind allgemeine Antriebslosigkeit, Interessenverlust und Lustlosigkeit. Kennzeichnend für das Burn-out ist dagegen die gefühlte Kluft zwischen den eigenen Werten und äußeren Anforderungen.
Der Nordenhamer Psychotherapeut Dr. med. Marcus Riedel sagt: „Durch die Dauerbelastung während der Corona-Pandemie hat die Zahl der von Burn-out Betroffenen im Gesundheitswesen stark zugenommen. Das sind aber nicht ausschließlich die Bereiche, aus denen meine Patienten kommen. Menschen aus allen Berufen und Schichten können an einem Burn-out erkranken. Das Problem liegt in der Erschöpfung durch das Gefühl, den eigenen Idealen nicht gerecht zu werden.“

Er kann seinen damaligen Chef nicht mehr leiden

Bernd R. ist heute 82 Jahre alt. Mit 62 Jahren wurde er in den Vorruhestand geschickt, „weil ich für die Firma uninteressant geworden war“, wie er sagt. Bernd R. war im Vertrieb für eine Telekommunikationsfirma tätig. Als in den 1990er Jahren die analoge Technik durch die digitale ersetzt wurde, fand er sich nicht mehr zurecht. Vom Techniker wurde er zum Vertriebler. Sein Chef habe ihn gehätschelt, um gleich nach einem erfolgreichen Vertragsabschluss mehr Einsatz zu fordern. Die Philosophie von Zuckerbrot und Peitsche wirkte sich zermürbend aus. Bernd R. verlor immer mehr die Lust an der Arbeit. Seine Erfolgsquote sank. Er bekam Magenbeschwerden, landete irgendwann beim Arzt. Der stellte ein schweres Burn-out fest. Bernd R. sagt, er habe sich die Diagnose lange nicht eingestehen wollen. Die Mitgliedschaft in einer Oldenburger Selbsthilfegruppe tut ihm bis heute gut. Seinen damaligen Chef könne er aber nicht mehr leiden.
So oder so ähnlich klingen die Geschichten der Betroffenen. Soziale Kontakte werden häufig vernachlässigt, Kritik oder eventuell gut gemeinte Hinweise darauf, dass sich die Person verrennt, ignoriert. Oft kommen diffuse körperliche Beschwerden hinzu. Die Klassiker sind Rückenschmerzen und Kopfschmerzen sowie Magenbeschwerden. In solch einem Fall sollten die Alarmglocken schrillen.
Marcus Riedel rät zu einer behutsamen Kontaktsuche, ohne den anderen zu bewerten. „Viele Menschen mit Burn-out leiden gleichzeitig zu ihrem Leistungsanspruch unter Einsamkeit. Daher ist es besonders wichtig, ihnen zuzuhören. Tipps zur Entspannung finden Sie überall, aber für den Betroffenen ist es oft schwierig, sich seine Situation einzugestehen.“ Ein offenes Ohr könne daher Wunder wirken.

Zahl der psychischen Erkrankungen hat zugenommen

Zwischen 2012 bis 2015 stieg die Zahl der Burn-out-Erkrankten deutlich an. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass psychische Erkrankungen gesellschaftsfähiger wurden. In den Medien wurde vermehrt über die Zusammenhänge zwischen Psyche und körperlichen Beschwerden berichtet. Die Schamgrenze wurde durch die öffentliche Diskussion herabgesetzt. Es wagten nun auch mehr Männer, ihre Rückenschmerzen mit Überlastung in Verbindung zu bringen.

Die Krankenkasse BKK Melitta hmr fasst das Burn-out in ihren Statistiken in der Diagnosehauptgruppe der psychischen Störungen zusammen. Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Zusammenhang mit einer psychischen Störung haben sich zwischen 2016 und 2021 spürbar erhöht. Während auf 100 Beschäftigte im Jahr 2016 noch rund 7,1 Fälle entfielen, lag dieser Wert für das Jahr 2021 bereits bei 8,8 Fällen. Das ist bedeutsam, da der Weg bis zur Genesung mehrere Monate bis Jahre dauern kann. Im Jahr 2016 verursachten die psychischen Diagnosen insgesamt 240 Arbeitsunfähigkeitstage pro Jahr je 100 Beschäftigte. Im Jahr 2021 lag dieser Wert bereits bei 340 Tagen.

Vorsicht ist besser als Nachsicht

Bei vorübergehendem Stress im Alltag können Entspannungsübungen für Abhilfe sorgen. Ein Klassiker sind die langsamen Atemzüge bis tief in den Bauch. Sie bringen mehr Sauerstoff ins Blut. Zudem wird der Parasympathikus angeregt. Der gibt dem Körper das Signal, das er entspannen kann.
Die Krankenkassen haben ebenfalls ein breites Angebot zur Stressbewältigung im Programm. Bei allen zertifizierten Kursen werden die Kosten von der Kasse bezuschusst. In vielen Orten gibt es Selbsthilfegruppen zum Thema „Gemeinsam gegen Depression, Angst, Panik“. Durch die Nähe der Symptome zueinander finden die Betroffenen vielfach hilfreichen Austausch.
Die Anzeichen eines Burn-outs, ob im Umfeld der Familie oder im Beruf, sollten immer ernst genommen werden. Wird die Erschöpfung chronisch, ist ein Gespräch mit dem Hausarzt angeraten. Dieser schätzt ein, ob es sich bei den Beschwerden um Burn-out, Angstzustände, Depression oder eine andere Erkrankung handelt. In einer geeigneten Therapie werden die eigenen Glaubenssätze aufgedeckt und nach Möglichkeit verändert. So kann aus dem Satz „Ich muss immer funktionieren“, ein „Ich muss mich wohlfühlen, um zu funktionieren“ werden. Arbeit ist schließlich nur das halbe Leben.

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