Grandios „scheitern“

Es fing alles ganz harmlos an. In meiner Facebook-Gruppe fragte jemand, ob Interesse an gemeinsamen Wanderungen, inklusive konkreter Vorschläge, bestünde. Der Heidschnuckenweg, gelegen in der Lüneburger Heide, war dabei.

Etappe 1 umfasste die Strecke Hamburg bis Soltau, 105km, in 3 Tagen, 35km pro Tag. Das ist zu schaffen, dachte ich. Zusammen mit fünf Anderen bekundete ich mein Interesse. Bis zum Termin am Vatertag verschwanden die Anderen. Ich grübelte über das Wetter, hatte aber innerlich beschlossen, „komme was wolle“, zu wandern.

Am Morgen des 13.05. fuhr ich, im Rucksack den Winterschlafsack der etwas 2/3 des Volumes ausfüllte, bis Hamburg/Fischbek. Ich parkte entspannt am Beginn des Schnuckenweges und wartete auf Bert, den Initiator der Wanderung. Es nieselte. Um 12.00Uhr kam er, wie verabredet. Nach einem kurzen Plausch, starteten wir in die Lüneburger Heide.

Manchmal wünschte ich mir, ich würde die Profile der Menschen besser studieren. Bert ist Ultra-Marathon-Läufer und Wiederholungstäter. Zwar habe ich, zum Leitwesen meiner „Alltagsbegleiter“, einen flotten Schritt, aber es wurde mir schnell klar, dass ich es mit einem anderen Kaliber zu tun hatte. Das soll keine Beschwerde sein (Bert, falls Du den Beitrag liest…). Wir unterhielten uns angeregt, und ich bekam einen Einblick in die Welt der Winter-Triathleten und 180km Läufer, ohne ausreichend Schlaf, bis hin zum Delirium. Zu meiner Beruhigung wurde von mir nicht erwartet diesen Ansprüchen zu genügen.

Die Landschaft wechselte von Heide und Hügel zu, von Autobahnen, flankierten Grasflächen. Vatertagsgruppen grüßten. Eine Wildschweinrotte kreuzte unseren Weg. Vertieft ins Gespräch verflog die Strecke und ehe ich mich´s versah hatten wir 28km auf dem Zähler. Nebenbei: Der HSW soll sehr gut markiert sein. Da bin ich anderer Meinung. Ohne Berts GPS wäre ich allein etliche Male ins Nichts gewandert.

Wer vom Wege abweicht…

Wasser bekamen wir auf den Friedhöfen der Dörfer, die Zahl der Lebensmittelgeschäfte ist dagegen ausgesprochen mager. Cafes liegen abseits der Strecke. Der einsame Wanderer tut gut daran sich mit ausreichend Verpflegung zu wappnen, auch nach Corona…

Es wurde langsam dämmerig. Nach 45km, meiner persönlichen Höchstleistung an einem Tag, begannen wir die Suche nach einem geeigneten Schlafplatz. Ein Stichweg in den Wald, der in einer Sackgasse mündete, wurde das Ziel. Wir schlugen uns noch etwa 30m in die Büsche. Ich entpackte Biwak und Schlafsack, blies die Isomatte auf, putzte die Zähne und ging zu Bett. Vorher konnte ich Bert gerade noch überreden den Wecker auf 5.30Uhr, statt auf 4.30Uhr, zu stellen.

Leave no trace
5.00 Uhr morgens in Deutschland

Um 5.00 wachte ich auf, die Vögel trillerten. Ich fühlte mich gut bis…ja, bis ich versuchte aus dem Schlafsack zu krabbeln. Der Muskelkater in den Beinen war erbärmlich. Ich stakste durch das nasse Laub und fluchte. Nach einem flüchtigen Frühstück liefen wir los. Leider hatte das Wetter sich gewandelt und nun zog, laut Anzeige und spürbar, für die kommenden Stunden eine Regenfront mit uns mit. Ich habe nichts gegen Regen, solange ich trocken bleibe, will sagen, die Kleidung trocken ist.

Nach und nach spürte ich meine Füße kalt werden, der Kater verlangte nach Pausen. Bert war in Topform. Ich schlug vor, dass wir uns für eine Teilstrecke trennen könnten. So würde er sein Tempo und Strecke laufen können und ich mich weniger unter Druck setzen, indem ich eine Abkürzung nahm. Unser Treffpunkt hiess Bäckerei Bergmann in Beringen. Es regnete munter weiter. Auf meinem Marsch durch den Wald platschte ich von Pfütze zu Pfütze. Damit begann das Dilemma (privater Dialog):

„Aufgeben?“

„Unmöglich! Wie sieht das denn aus?“

„Was heisst, wie sieht das denn aus?“

„Du frierst, Deine Füße sind nass, gehts hier etwa ums Überleben?“ usw.

Letztlich dauerte es nicht lange. Ich entschied mich ins nächste Dorf zu gehen und ein Taxi zu rufen, welches mich nach Handeloh zur Bahnstation bringen würde. Von dort gab es Verbindungen nach Hamburg und somit zurück zu meinem Auto. Ahhhh…Gaskocher und Tee, warme Socken…

Der kürzeste Weg führte nach Wilsede. Kurz vorher googelte ich „Taxi Wilsede“. Fehlanzeige. Statt dessen rief ich im Verkehrsbüro an. Eine freundliche Frauenstimme am Apparat: „Wilsede? Nein, da gibt es keine Taxis.“ „Aber, es gibt ein Hotel, dh Autos fahren doch dorthin?“ „Also, Taxis fahren nur für die Gäste des Hotels, alles andere ist nicht möglich.“ – (Sie machen Witze??? Kreisch…)- „Wo kann ich in der Nähe ein Taxi bekommen?“ “ Warten Sie einen Moment, ich gucke mal nach… “ (Oh nein…wieso dauert das jetzt?!)-„Der nächste Ort ist Undeloh.“ „Wie weit weg ist das ungefähr?“ „3.5km von Wilsede.“ (Einen Fuß vor den anderen, Muskelkater, Crescendo). Erstaunlich wie schnell mich eine leichte Verzweiflung befiel, nachdem ich eingesehen hatte, dass ich wohl kaum die nächste Nacht im Bivak glücklich werden würde.

Ich erreichte Undeloh, informierte Bert, das Taxi kam und ein Häufchen Elend verliess die Heide.

Inzwischen bin ich, bei bester Laune, zuhause. Bert schrieb, dass er endlich in Bispingen, am vereinbarten Treffpunkt, angekommen sei. Bispingen? Hatten wir nicht Beringen abgemacht? Klassischer Fall von Google-Fehlinterpretation. Die Bäckerei ist (und zwar ausschliesslich) in Bispingen verortet. Beringen liegt dagegen in der Schweiz…Da hätten wir uns wohl nie wieder gesehen…

Was habe ich daraus gelernt? 45km an einem Tag sind für mich zuviel, ich bleibe bei 25-35km. Und jedes Gramm im Rucksack zählt. Ich werde es wieder tun!

2 Replies to “Grandios „scheitern“”

  1. Bert sagt:

    Danke für den schönen Bericht. Besonders gefreut habe ich mich über den Schlußsatz, hatte Sorge, du wärst geknickt.

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