Die Zahl der Krankmeldungen an den Schulen ist so hoch wie schon lange nicht mehr. Lehrer und Schüler sind gleichermaßen betroffen. Nach Corona grassieren die Influenza und Erkältungssymptome. Der Lehrbetrieb muss trotzdem aufrecht erhalten werden. In einigen Einrichtungen arbeitet die Lehrerschaft „Spitz auf Knopf“.
In der Grundschule Sellstedt werden 117 Schüler betreut. In der vergangenen Woche waren 44 davon krank. Zusätzlich fiel die Hälfte aller Lehrer aus. Die niedersächsischen Grundschulen sind dazu verpflichtet, täglich ein mindestens fünf Zeitstunden umfassendes Schulangebot zu gewährleisten. Um der Situation Herr zu werden, wurden jahrgangsgleiche Klassen zusammengelegt. Die Schulleitung griff außerdem auf pädagogische Mitarbeiter zurück. Diese Fachkräfte können kurzfristig eingesetzt werden, wenn es zu Engpässen kommt. Ist die Gefahr damit gebannt? Schulleiterin Katja Asmussen seufzt: „In der Theorie ist das ein guter Plan. In Persona ist aber niemand da.“ Denn auch unter den pädagogischen Mitarbeitern ist die Krankenquote hoch. „An manchen Tagen mussten wir die Kinder ab der sechsten Stunden nach Hause schicken. Zum Glück sind die Eltern sehr verständnisvoll und unterstützen uns“, sagt sie.
Auch am Gymnasium Lichtenberg in Cuxhaven ist die Ausfallquote hoch und belastet den Schulalltag. Die Hälfte aller Schüler sowie jeder vierte Lehrer ist betroffen. Schulleiter Martin Rehermann sagt: „Die Kollegen sind überfordert. Im absoluten Notfall bliebe uns nur die Möglichkeit, die Schüler ins Homeoffice zu schicken. Sie bekommen dann, wie zu Corona-Zeiten, ihre Aufgaben online zugestellt.“ Er fragt sich, was der Gesellschaft die Bildung der Schüler eigentlich wert ist. Im Auslandschuldienst in Dänemark hat er andere Systeme kennengelernt. Bei Engpässen kann dort ein Hilfskräfte-Pool angezapft werden. Ein Anruf genüge und die fehlende Lehrkraft werde durch einen Studenten ersetzt.
Henrike Hallmann, Rektorin der Oberschule Achtern Diek an der Wurster Nordseeküste, bestätigt die schwierige Lage der Schulen. „Auch bei uns fallen zahlreiche Lehrkräfte aus. Es ist aber noch kein Drama. Wir mussten bis jetzt keinen Unterricht langfristig absagen. Im Moment schaffen wir es, die fehlenden Stellen durch die Kollegen zu ersetzen.“ Natürlich sei es eine herausfordernde Situation für alle. Der Landkreis hat Informationsmaterial zur Eindämmung der Infektionen an die Schule verschickt. Zu den Hinweisen gehören die bekannten Maßnahmen wie Hände waschen und Abstand halten. Henrike Hallmann hofft auf eine Beruhigung der Lage durch die Weihnachtsferien, wenn alle zuhause bleiben.
An der Grundschule Nordholz habe man die große Welle erstmal überstanden. Schulleiterin Sabine Peter sagt: „Zwar sind immer noch viele Kinder krank, aber die Lehrer werden nach und nach wieder fit.“ Die Krisenzeit konnte die Schule durch ihre zahlreichen pädagogischen Mitarbeiter ausgleichen. Dennoch sieht Sabine Peter den personellen Notstand. Sie wünscht sich für die Zukunft eine größere Zahl an sozial-pädagogischen Fachkräften und Erziehern an den Schulen, so dass bei Bedarf auf diese zurückgegriffen werden kann. Die Gründe für die hohen Infektionszahlen vermutet sie in den Maßnahmen der zwei Corona-Jahre. Der Distanzunterricht und das Tragen der Maske habe wahrscheinlich dazu geführt, dass das Immunsystem heruntergefahren sei.
Am Gymnasium Wesermünde sind am Freitag 101 von 930 Schülern krankgemeldet und auch zehn der 70 Lehrkräfte. „Zusätzliches Personal gibt es nicht“, sagt Schulleiterin Birgit Becker. „Wir kommen gerade so durch. Im Winter werden wichtige Klausuren geschrieben. Es wäre ausgesprochen schwierig, wenn mehrere Schüler den Termin nicht wahrnehmen können. Die Schüler müssten zusätzlich zu den anstehenden Tests die verpassten nachholen, die Lehrer neue Klausuren konzipieren. Dann wären wir schnell an der Belastungsgrenze.“
Warum werden nicht mehr Fachkräfte eingestellt? In ganz Deutschland herrscht Fachkräftemangel. Zusätzlich kommt hinzu, dass Bremerhaven als Standort nicht sehr beliebt zu sein scheint. „Ein Großteil meiner Kollegen am Gymnasium ist gebürtig aus der Stadt oder sie waren sogar selbst Schüler hier,“ sagt Birgit Becker. „Für die Schulen wäre es einfacher, wenn sie selbst bestimmen könnten, wieviel Kollegen eingestellt werden. Die Zahl der Lehrer wird allerdings vom regionalen Landesamt vorgegeben.“
Welche Tipps hat dann das regionale Landesamt für Schule und Bildung in Lüneburg für die prekäre Situation?
Verena Clasen, schulfachliche Dezernentin, ist der hohe Ausfall an den Schulen bewusst. Sie betont, es helfe die bekannten Hygienemaßnahmen einzuhalten. Wer in der Schule freiwillig eine Maske tragen wolle, der könne das tun. Eine Pflicht sieht das Infektionsschutzgesetz inzwischen nicht mehr vor. Bezogen auf den akuten Lehrermangel gäbe es die Möglichkeit, das zwei Schulen, die in unmittelbarer Nähe zueinander liegen, sich gegenseitig Lehrkräfte ausleihen. Die Schule mit dem Plus an Mitarbeitern könne vorübergehend der Schule mit einem Minus aushelfen. Birgit Becker glaubt, dass das nicht umzusetzen ist: „Zeigen Sie mir die Schule die einen Überschuss hat. Der Krankenstand ist überall immens hoch. Und, was soll das, wenn ein Kollege von der Oberschule in Schiffdorf vorbeikommt? Er müsste sich ins Thema der Klasse einarbeiten, und nach einer Woche ist der Klassenlehrer zurück. Da hat keiner etwas davon.“
An der Grundschule Dorum ist nur der Anrufbeantworter zu erreichen. Eine Stimme informiert den Anrufer: „Wenn Sie ihr Kind krank melden möchten…“