Das vergessene Paradies

(veröffentlicht im September 2023)

Mitten im Ortskern von Einswarden zweigt eine schmale Straße zum Kleingartenverein Sonnenblume ab. An ihrem Ende erreicht man einen großzügig angelegten Parkplatz. Der Blick fällt zunächst auf das Vereinsheim. Die Kleingärten verteilen sich von dort in alle Richtungen.
Einige der Lauben sind stark zugewuchert. Auf einem Grundstück ist der Rasen zwar gemäht, aber die Türklinke an der Laube hängt schief. Das Haus ist unverschlossen. Drinnen stapeln sich Müllsäcke, Plastikstühle und Polster in einem undurchsichtigen Handgemenge. Im Raum nebenan liegen Autoreifen. Das Fenster in der Wohnstube ist weit geöffnet. Der Wind lässt eine verblasste Girlande flattern.

Von 600 Parzellen sind nur noch wenige übrig

Dieses Kleingartengelände ist ein besonderer Ort. Die Anlage wurde 1946 gegründet und umfasste damals rund 600 Parzellen. Die Laubenkolonie reichte über die (damals noch nicht vorhandene Martin-Paul-Straße) hinaus und schloss das Gebiet bis zur Kleinen Ulmenstraße mit ein. Heute sind noch 45 Parzellen belegt. Zehn weitere warten auf einen Pächter, der sich ihrer annimmt. Die restlichen Schrebergärten sind verfallen oder wurden geräumt.

Wer sich den verwaisten Lauben nähert, tut es mit weit vorgestreckter Hand oder einem Zweig, der die Spinnweben frühzeitig zerreißt. Bei einer Hütte ist das Dach eingebrochen. Brombeersträucher umranken die zurückgelassenen Plastikstühle. Es riecht modrig. Auf dem Tisch stehen eine angebrochene Tube Steaksauce und leere Bierflaschen. Als hätten die Pächter fluchtartig die Party verlassen. Wo einmal eine Tür war, fällt der Blick ins Dickicht. In der Küche hängen die Türen der Schränke lose in den Angeln und geben den Blick frei auf übereinander gestapelte Teller und Tassen.


Lauben, die einen Besitzer haben, erkennt man schnell an der getrimmten Hecke und dem Schloss am Gartentor. Manche Eigentümer weisen mit Schildern darauf hin, dass ihre Parzelle videoüberwacht wird.

Kai Langer hat seit sieben Jahren ein Grundstück auf dem Sonnenblume-Gelände. An diesem Tag sitzt er mit einem Nachbarn bei einem Bier unter dem Vordach seiner Laube zusammen. Im Raum nebenan ist es stockdunkel. Nur eine Kerze steht dort auf dem Tisch, und der Fernseher flimmert. Es läuft ein Actionfilm. Sirenen heulen, Autotüren werden zugeschlagen.


„Ich baue Tomaten und Gemüse an. Ist schließlich alles teurer geworden“, sagt Kai Langer. Der Pächter zur Rechten hat zwar die knapp 200 Euro Jahrespacht bezahlt, aber kommt nicht mehr vorbei. Warum? Keine Ahnung, sagt Kai Langer. Ein anderer züchtete Sittiche. Er ließ alles stehen und liegen, als die Vogelgrippe grassierte und verschwand auf Nimmerwiedersehen.

Rentner können keine Laube abreißen

Zusätzlich zu der Jahrespacht zahlen die Mitglieder des Kleingartenvereins jährlich 80 Euro. Das Geld wird ihnen erstattet, wenn sie vier Mal fünf Stunden Gemeinschaftsarbeitt leisten. Dazu gehört die Pflege der leeren Parzellen. Gabriele Ludewig ist im Vorstand des KGV.

Sie sagt: „Einige Grundstücke haben wir an die Stadt zurückgegeben, weil wir es nicht mehr stemmen können, sie sauber zu halten. Es soll schön bleiben bei uns. Viele unserer Mitglieder sind Rentner. Die kann man nicht fragen, ob sie mal eben eine alte Laube abreißen.“


Eine Frau steht am Wegesrand und pflückt Brombeeren. Die Polin Janina Ostendorf (76) sagt, sie müsse eigentlich erst den Rasen mähen, bevor man ein Foto von ihrem Anwesen machen könne. Sie war eine Woche im Urlaub, alles ist hochgeschossen. Den Garten pflegt sie seit 30 Jahren. „Früher habe ich mich immer mit meinen polnischen Freunden getroffen und im Garten gefeiert. Und die Kinder kamen mit.“ Zwölf Jahre war sie mit einem Deutschen verheiratet, dann ist der Mann gestorben. Jetzt muss sie alles allein machen.
„Viele meiner Nachbarn sind in ihrem Garten gestorben“, sagt sie. Sie zeigt nach links: „Meine Freundin hier und schräg gegenüber, da ist auch der Mann gestorben.“ Die Lauben bleiben leer.

Die Gemeinschaft hält zusammen

Daniel Gerdes ist einer der neuen Pächter. Der 35-Jährige verkaufte sein Haus, dann fehlten ihm das Grün und der Freiraum zum Grillen. „Aber als ich heute um Viertel vor zwei mähen wollte, kam mein Nachbar rüber und beschwerte sich. Mähen geht erst ab 14 Uhr. Da musste ich also kurz warten. Ansonsten ist es sehr entspannt“, sagt er.


Lediglich mit der Stromversorgung haperte es am Anfang. Der gelernte Elektriker ging auf Fehlersuche. Er stellte fest, dass ein Kurzschluss in der Leitung unterhalb einer der verfallenen Hütte das Problem war. „Ich kenne viele, die einen Garten suchen, aber wenige, die sich zutrauen, so ein Grundstück aufzumöbeln. Dabei hat die Anlage viel Potenzial, man braucht nur handwerkliches Geschick“, sagt Daniel Gerdes.

Und der Zusammenhalt unter den Pächtern ist großartig. Als der letzte schwere Sturm im Juli das Dach des Vereinsheimes zur Hälfte herunterriss, spendeten sie das Geld für die Reparatur.

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