Seemannsgarn

Durch den Dschungel –

Manchmal fühle ich mich wie ein Schiffbrüchiger. Nicht unwohl, im Gegenteil. Ich brauche nicht viel – nicht viel Materielles. Nordenham ist das Gegenteil von meinem Umfeld der letzten 20 Jahre. Das macht mir manchmal zu schaffen, und ich frage mich:

Wie und warum bin ich eigentlich gerade hier gelandet?

Abgesehen von der Tatsache, dass es mir in der Kleinstadt gefällt, gibt es doch Anpassungsdämpfer. Auch hat Corona meine Arbeitspläne als Reiseleiter unangenehm verschoben. Warum also?

Im Januar 2017 stieg ich in Berlin/Tegel in den Flieger nach Kathmandu um dort meinen damaligen Freund zu treffen und mit ihm auf Weltreise zu gehen. Nach 17 Jahren in der Großstadt war mein Plan diese dauerhaft zu verlassen, komme was wolle. Ich kündigte mein WG Zimmer und stellte meine wenigen Besitztümer bei Freunden unter. Die Idee war sich während der Reise mit Massage, Zeichnungen und Workaways (Arbeit gegen Kost und Logis) durchzuschlagen.

Autowerkstatt, Nepal

Pokhara, in der Landesmitte Nepals und Ausgangspunkt für viele Trecks durch das Himalaya Gebirge, wurde unsere Basis für drei Monate. Ich zeichnete die bunten Holzboote am Phewa See und verkaufte sie an Touristen. Entlang des Sees stehen Schmuckverkäufer, Wahrsager und Garküchen. Da passte ich wunderbar hin. Ich lernte nepalesische Künstler kennen, die für ihren Lebensunterhalt alle ähnlich bunte Landschaften malten. Nebenbei arbeiteten sie in ihren Ateliers an eigenen Bildern.

Phewa See, Lakseside Pohara
Blick auf Djangu Narajan (wir wohnten im mintfabenen Haus, links unten)

Von Nepal aus flogen wir nach Thailand. Auf der Insel Koh Phayam erwartete uns ein Work-Away im Dschungel mit 20 Hunden. Am Tag unserer Ankunft halfen wir bei einer Kastrations-Aktion der noch frei laufenden Straßenhunde. Im weiteren Verlauf malte ich morgens ein (gewünschtes) Deko-Mandala an die Hauswand, nachmittags fuhren wir mit dem Scooter zum Strand.

Unser Schlafzimmer (kein Ikea-Bild)
Koh Phayam

Es folgten drei Monate auf Sri Lanka. Von dieser Zeit behalte ich vor allem Curries in Erinnerung. Das Reisgericht mit verschiedenen Gemüse oder Fleisch-Beilagen kann ein Gedicht sein. Wenn man, wie wir, günstig essen will, dann bekommt man meistens ein und dasselbe Curry, täglich. Eine Weile halfen wir auf einer ehemaligen Tee-Plantage aus, dann mieteten wir für einen Monat ein Appartement und kochten selbst. Blieben sechs Wochen unausweichliches Curry.

Zugfahrt Sri Lanka

Nach sieben Monaten in Asien machten wir einen Zwischenstop in Nordenham. Währenddessen fand mein 25-jähriges Klassentreffen statt. Und ich dachte zum ersten Mal: „Eigentlich könnte ich auch nach Nordenham ziehen…“

Anschliessend flogen wir nach Frankreich für eine Reihe an Housesits (umsonst wohnen, und sich um die Haustiere kümmern, während die Besitzer auf Reisen sind). Das erste Anwesen glich dem Landsitz eines Adeligen, mit Poolanlage und Zweit-Haus für den Gärtner. Wir fütterten „Tetter“, den Serval (eine afrikanische Wildkatze), den die Besitzer zur Kreuzung mit Hauskatzen hielten. Im englischen Hungerford verliebte ich mich in den jungen Cockerspaniel der Granvilles. Und bekam von einem Freund aus Berlin eine Nachricht, dass er mir eine Wohnung vermitteln könne- 70m2, in Mitte, möbliert, 500€. Ein verlockendes Schnäppchen, das mein Vagabundenleben zwischenzeitlich absichern konnte.

Tarka, der Cocker der Granvilles

Die Hauptmieterin der Wohnung lebte im Ausland. „Aus gutem Herzen“ (wichtig, weil sich das Herzchen später komplett änderte) hatte sie die Wohnung dem bissigen Markt vorenthalten, und unter der Hand weiter vermietet. Ich zog zurück nach Berlin. Mein Freund war mein Exfreund und flog zurück nach Australien. Im Oktober 2017 öffnete ich die Tür zu meinem neuen Zuhause.

Dreharbeiten an meinem Haus

Im Mai hatte ich die Nase wieder voll von Berlin und flog für einen Monat nach Griechenland. Meine Wohnung vermietete ich unter. Nach meiner Rückkehr bot ich regelmässig ein Zimmer meiner Wohnung auf AirBnB an. Dann kam der Tag der alles veränderte. Der Boiler in der Küche gab den Geist auf, und meine Vermieterin wollte monatlich 300€ mehr Geld für „solche Reparaturen“. Ich sah das gar nicht ein. Daraus folgte das Ende meines Wohnverhältnisses.

Glückliche Tage in Broxburn, Schottland

Ich flog nach Schottland für mehrere Housesits. Für den Zeitraum danach fand ich eine möblierte Wohnung auf Zeit. Doch, wie das so ist, wenn etwas schief geht, dann richtig. Marcel, mein „neuer“ Vermieter, war bei unserem Kennenlernen nett und offen. Er bat mich um eine Vorauszahlung in bar. Ich brauchte die Wohnung dringend und dachte nicht lange nach. Das Geld wechselte den Besitzer. Ein paar Tage später googelte ich „spaßenshalber“ den vollen Namen Marcels. Einen Moment lang wurde mir schlecht. Marcel war im Netz bekannt. Wegen Betruges, schon mehrmals. Ich ging zum Anwalt, bekam mein Geld aber nur geringfügig zurück. Eine neue Bleibe fand ich dagegen schnell, diesmal im Wedding. Jaqueline hatte zwei Hunde und wohnte im Sommer im Gartenhaus. In diesem Zeitraum konnte ich ihre Wohnung übernehmen.

Meine wunderbaren Kollegen aus Berlin, ohne sie wäre das alles nicht möglich gewesen.

Das Haus war angeschlossen an eine Sozialstation. Ein Teil der Bewohner gehörte zum „Klientel“. Wenn ich aus meinem Schlafzimmerfenster an sonnigen Tagen auf den Hinterhof sah, konnte ich einen schwer tätowierten Mann im Feinripp-Unterhemd am Fenster rauchen sehen. Manchmal schrie er etwas rüber zu dem Nachbarn unter mir. Ich gewöhnte mich dran. Es gab ehemalige Drogenabhängige und anderweitig „komplizierte“ Personen im Haus. Jacqueline war in Ordnung. Sie litt immer wieder unter Depressionen, kam aber einigermaßen zurecht. Als ich eines Tages kaum noch mit meinem Schlüssel die Wohnungtür öffnen konnte, meldete ich mich bei ihr. Sie bat mich den Nachbarn ein Stockwerk tiefer zu beauftragen, das Schloß auszuwechseln (er habe Erfahrung darin?). Ich solle nicht vor 12.00 Uhr klingeln, da wäre er meistens nicht ansprechbar, bzw. noch betrunken. Als Dank müsse ich zwei, drei Piccolos mitnehmen. Die Aktion hinterließ ein merkwürdiges Gefühl bei mir.

Für den nahenden Winter begab ich mich auf die Suche nach Appartements auf Fuerteventura. Ein Freund lebte seit fast einem Jahr auf der Insel und schwärmte von der unbürokratischen „Wildwest“-Mentalität. Ich beschloß meine Massagebank mitzunehmen.

Von Dezember 2018 bis Mitte März 2019 lebte ich auf der Insel. Ein Traum. Mein Massageangebot wurde angenommen, doch schon kurz darauf wurde mir verboten in meinem Appartement zu arbeiten. Ich wich kurzerhand auf den Strand aus und massierte nun die Personen im Sitzen auf einem Hocker. „Fliegende Massage“ ist zwar offiziell nicht erlaubt, festgenommen wurde ich aber nicht. Es kam der April, Jacqueline zog in ihren Garten, ich wieder bei ihr ein. Gleichzeitig bewarb ich mich als Reiseleiterin und wurde engagiert. Meine erste Reise nach Irland war für Juli geplant. Zwischenzeitlich fuhr ich nach Nordenham, fühlte mich dort viel wohler als in Berlin, und hätte gern ein 50:50 Arrangement zwischen Fuerte und Nordenham entwickelt. Mit der Tätigkeit als Reiseleiter (bei der mein Wohnsitz egal ist) und der Massage, wollte ich mir ein flexibles Standbein aufbauen. Ich mußte dafür natürlich günstig wohnen. In Berlin kenne ich Leute die in Wohnwagen leben. Keine Wagenburgler, ganz normale Leute. Über diese Art zu wohnen (Stichwort: Vanlife) kann man sich bei youtube informieren. Ich fand und kaufte also ein gebrauchtes Wohnmobil, mein mobiles Zuhause.

Leben und Tee trinken wo andere Urlaub machen

Eigentlich war alles perfekt. Mein Auto hatte eine Solarzelle auf dem Dach, ich war autark. Ich verbrachte den Sommer in Nordenham. Die Gründe waren, dass ich mich ein wenig sortieren wollte, lernen musste für meine zweite Reiseleitung und mein neuer Freund. Und dann…fand ich es auf einmal gar nicht mehr verlockend wieder weg fahren zu müssen. Ich hatte Arbeit und irgendwie das Gefühl: „Jetzt schmeisst Du das alles hin und reist allein weiter…das passt nicht.“ Ich inserierte am 29.12. den Van. Am 31.12 war er verkauft, ohne finanzielle Verluste. Ich zog übergangsweise zu meiner Mutter in mein altes Kinderzimmer. Seit März 2020 habe ich eine Wohnung in Nordenham, und einen Peugeot mit eingebautem Bett, für kleine Reisen. Wäre Corona nicht dazwischen gekommen, wäre ich viel öfter auf Reisen, beruflich und aus Spaß. Alles ist anders, als geplant.

Und, wenn mir die Decke auf den Kopf fällt? Dann finden sich bestimmt ein paar Baumstämme für ein Floß.

—- Wie finanziert sich das alles (beliebte Frage)? Eine Weltreise ist keine Kreuzfahrt. Leben in Asien kostet nicht die Welt. Man braucht einen Rucksack, geht einkaufen auf dem Markt, reist mit öffentlichen Verkehrmitteln, arbeitet gegen Kost und Logis und hat ein paar Rücklagen. Und den Wunsch auf Reisen zu sein. Es ging mir nicht um Komfort, sondern um das Abenteuer.

„Froh zu sein bedarf es wenig,…“

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